Studie sieht Demokratie weltweit in Gefahr
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Studie sieht Demokratie weltweit in Gefahr

Menschenrechte ‐ Es ist ein düsteres Bild, das die Bertelsmann Stiftung zeichnet: In immer mehr Ländern der Welt werden Bürgerrechte beschnitten und Freiheiten eingeschränkt. Schuld daran sind auch religiöse Konflikte, deren Einfluss auf die Politik stetig wächst.

Erstellt: 01.03.2016
Aktualisiert: 01.03.2016
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Wer regelmäßig die Nachrichten verfolgt, kennt den Eindruck, dass sich der politische Himmel über vielen Ländern verdüstert. Jetzt bestätigt eine Studie, was das Bauchgefühl schon länger sagt: In immer mehr Ländern werden Bürgerrechte und Freiheiten eingeschränkt oder ganz beschnitten. Und das auch in demokratischen Staaten.

Betroffen sind laut des am Montag in Gütersloh veröffentlichten Transformationsindex der Bertelsmann Stiftung nicht nur der Nahe Osten, Asien und Teile Afrikas. „Auch unsere Nachbarschaft ist konfliktreicher, instabiler und autoritärer geworden“, sagt der Vorstandsvorsitzende der Stiftung, Aart De Geus, mit Blick auf Russland, Nachfolgestaaten der Sowjetunion, die Türkei und Ungarn. „Rund um Westeuropa hat sich ein ‚Ring of fire‘ gebildet.“

Jede zweite Demokratie ist „defekt“

Seit 2006 nimmt die Stiftung alle zwei Jahre den Entwicklungsstand von 129 Umbruchsländern unter die Lupe und bewertet die Einhaltung von rechtsstaatlichen Prinzipien, diesmal für die Jahre 2013 bis 2015. Auf den ersten Blick scheint das Gesamtergebnis gar nicht schlecht: So ist die Zahl der demokratisch regierten Länder seit 2014 von 72 auf 74 gestiegen und die Zahl der Autokratien von 57 auf 55 gesunken. Jede zweite Demokratie stuft der Index allerdings als „defekt“ ein, jede fünfte als „stark defekt“.

Laut Stiftung wurde in fast allen Ländern in Ost- und Südosteuropa die Presse- und Meinungsfreiheit stärker eingeschränkt als noch 2006. Als Negativbeispiel für eine „illiberale Demokratie“ nennt die Studie Ungarn. Regierungschef Viktor Orban hebele die Gewaltenteilung aus, schwäche Kontrollinstanzen und beschränke die Meinungsfreiheit. Andere defekte Demokratien wie Argentinien, Ecuador, Mazedonien oder die Türkei durchliefen ähnlich starke Polarisierungen.

Auch innerhalb der Gruppe der Autokratien haben sich die Verhältnisse laut Index weiter verschlechtert. Nur noch 15 Autokratien schützten ihre Bürger zumindest minimal. Rund drei Viertel der autokratisch geführten Regierungen schränkten die Freiheitsrechte so weit ein, dass ihr System als „hart autokratisch“ zu bezeichnen sei, heißt es. Darunter sind – fünf Jahre nach dem „Arabischen Frühling“ – viele nordafrikanische Länder wie Ägypten, Libyen oder der Irak.

Habe es in den vergangenen Jahren noch die Tendenz zu einem gewissen Maß an Pluralismus gegeben – von der Zulassung oppositioneller Parteien bis zur Duldung gemäßigter oppositioneller Medien und Nichtregierungsorganisationen –, so bedienten sich zahlreiche Regimes nun wieder „kruderer Methoden, um einen offenen gesellschaftlichen Diskurs zu unterbinden“, heißt es. Angeprangert werden willkürliche Inhaftierungen von Menschenrechtsaktivisten, Verbote von Demonstrationen oder Einschränkungen für ausländische Nichtregierungsorganisationen. „Dies geschieht häufig unter dem Deckmantel der Terrorismusbekämpfung oder der Abwendung ausländischer Einmischung in innere Angelegenheiten.“

Religion gewinnt an Einfluss auf Politik

Ein zunehmend wichtiger Faktor für die Verhärtung ist laut Studie die Religion: So habe der Einfluss religiöser Dogmen auf die Rechts- und Gesellschaftsordnung vieler Staaten weiter zugenommen – etwa in Nigeria, Irak, Libyen, der Türkei und Syrien. Doch beschränkt sich diese Tendenz nicht allein auf arabische oder muslimische Staaten: In Russland etwa sei es die orthodoxe Kirche, die eine Abkehr von westlich-liberalen Vorstellungen stütze. Auch auf den katholisch geprägten Philippinen, im mehrheitlich buddhistischen Bhutan und dem hinduistisch geprägten Nepal werde eine Abkehr von Freiheitsrechten teils religiös untermauert.

Als Ursache für die insgesamt negative Entwicklung macht die Studie eine wachsende Unfähigkeit oder Unwilligkeit von Regierungen aus, sozialen Ausgleich zu schaffen und Korruption zu bekämpfen. „In 90 Prozent aller untersuchten Länder sind Regierungen erfolgreicher darin, wachstumsfördernde Markt- und Wettbewerbsordnungen, stabile Währungen und Preise und Schutz von Privateigentum zu verankern, als sozioökonomische Hindernisse zu überwinden, soziale Sicherheit und Chancengleichheit zu gewähren und Umwelt- und Bildungspolitiken nachhaltig auszugestalten.“

Von Christoph Arens (KNA)

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