„Hier steckt ein unglaubliches Potential“
Lebensstil ‐ Ein faires Pfarrfest organisieren, regional und saisonal einkaufen oder den Schulgarten neu bepflanzen - mit der Initiative „Gutes Leben. Für alle!“ möchte das Bistum Speyer dazu anregen, seinen eigenen Lebensstil kritisch unter die Lupe zu nehmen. Im Interview erklärt Astrid Waller aus dem Katholikenrat des Bistums Speyer, was möglich ist, damit gutes Leben für alle gelingen kann.
Aktualisiert: 15.04.2016
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Ein faires Pfarrfest organisieren, regional und saisonal einkaufen oder den Schulgarten neu bepflanzen - mit der Initiative „Gutes Leben. Für alle!“ möchte das Bistum Speyer dazu anregen, seinen eigenen Lebensstil kritisch unter die Lupe zu nehmen. Die Frage: Wie kann jeder einzelne dazu beitragen, dass Menschen weltweit ein gutes Leben führen können? Im Interview erklärt Astrid Waller aus dem Katholikenrat des Bistums Speyer, was möglich ist.
Frage: Frau Waller, die Aktion „Gutes Leben. Für alle!“ läuft nun seit mehr als 2,5 Jahren. Welche Zwischenbilanz ziehen Sie?
Waller: Die Resonanz ist sehr unterschiedlich. Das hat man ganz besonders in der zweiten Kampagnenphase, der Experimente-Phase, gesehen. Hier ging es darum, Alternativen zum bisherigen Lebensstil zu finden und auszuprobieren, wie sich ein geändertes Konsumverhalten vor Ort umsetzen lässt. Insgesamt wurden 102 Experimente von Gemeinden, Schulen und Gruppen durchgeführt. Unser Ziel waren 100. Daher können wir uns über fehlende Resonanz nicht beschweren. Wenn man sich die Karte unseres Bistums anschaut, erkennt man allerdings eine deutliche regionale Konzentration, wo Experimente durchgeführt wurden und an welchen Orten die Kampagne noch nicht angekommen ist.
Frage: Können Sie beispielhaft einige dieser Experimente vorstellen?
Waller: Ein größeres Experiment war beispielsweise die Installation eines Repair-Cafés in Pirmasens innerhalb eines Jahres. Für dieses Projekt haben sich unterschiedliche Akteure zusammengeschlossen, und zwar eine katholische Familienbildungsstätte, ein Caritas-Zentrum und eine Pfarreiengemeinschaft. Defekte Haushaltsgeräte, Kleidung oder andere Dinge können in das Repair-Café gebracht und unter Anleitung von Experten selbst repariert werden.
Bei einem anderen Experiment hatte sich eine Pfarrei das Motto „Stoppt die Papierflut“ auf die Fahnen geschrieben. Der Pfarrgemeinderat hat den gesamten Papierverbrauch in der Pfarrei unter die Lupe genommen mit der Folge, dass nun beispielsweise der Gemeindebrief in einer viel kleineren, dem Bedarf angemessenen Auflage gedruckt wird.
Auch Schulen haben sich an der Kampagne „Gutes Leben. Für alle!“ beteiligt. Zwei Schulen sammelten beispielsweise alte Handys, um diese dann umweltfreundlich recyceln zu lassen. Begleitet wurde das Experiment durch Unterrichtseinheiten zum Thema fairer Handel, faire Rohstoffe und so weiter. Diese Aktion wurde sehr gut angenommen, auch in einer Pfarrgemeinde. Dort kamen wahnsinnig viele Handys zusammen. Leider sahen viele in dem Experiment lediglich eine gute Gelegenheit, ihre alten Handys loszuwerden, ohne ihren eigenen Konsum dabei kritisch zu hinterfragen.
Frage: Stichwort „Nachhaltigkeit“: Waren die Experimente bloß einmalige Aktionen oder sind daraus auch langfristige Projekte entstanden?
Waller: Das Repair-Café findet seit rund einem Jahr alle zwei Monate statt. Das faire Pfarrfest ist in den meisten Pfarreien bisher eine einmalige Sache gewesen. Aber die beteiligten Ehrenamtlichen arbeiten intensiv an einer Wiederholung. Es braucht immer viel persönliches Engagement von den Leuten vor Ort, damit die Idee der Lebensstil-Kampagne wachgehalten wird.
Frage: Im Februar hat die dritte und letzte Kampagnenphase, die Begegnungsphase, begonnen. Wie gestaltet sich diese?
Waller: Wir wollen bis März 2017 mindestens zehn Begegnungen mit Menschen aus anderen Weltregionen arrangieren, z. B. im Rahmen von Diskussionsveranstaltungen, Exkursionen, Kulturevents oder Ausstellungen. Das Motto lautet „Begegnung ist Dialog“. Es geht darum, anderen Leuten zuzuhören, sich auszutauschen und sich in die Lebenssituation des anderen hineinzuversetzen. Was versteht unser Gegenüber unter einem guten Leben für alle? Wir haben diese Leitfrage der Kampagne bisher immer aus der Perspektive einer Wohlstandsgesellschaft beantwortet. Jetzt wollen wir herausfinden, wie es in anderen Lebenskontexten und anderen Weltregionen aussieht. Ist dort gutes Leben für alle dasselbe, wie für uns in Deutschland?
Frage: Welche Begegnungen haben Sie geplant?
Waller: Die erste Begegnung fand in der vergangenen Woche im Rahmen der Renovabis-Pfingstaktion statt, die am Wochenende in Speyer eröffnet wurde. Bei einem Dialogabend in Kaiserslautern kamen Gemeindemitglieder mit drei Gästen aus Bosnien-Herzegowina, Litauen und der Ukraine ins Gespräch. Zudem gibt es über die katholische Hochschulgemeinde im Bistum Speyer Kontakte zu Studierenden in Ruanda, mit denen wir auch den Dialog suchen wollen. Wir sehen diese Begegnungen als Chance, die Initiative auch in solche Orte zu tragen, die bisher blinde Flecken in unserer Experimente-Phase waren. Ein weiteres Highlight sind die Reisen, die das Bistum Speyer zwischen November 2016 und März 2017 für weltkirchlich interessierte Katholiken anbietet. Unter dem Motto „Lernen von der Weltkirche“ werden hier Begegnungen mit Menschen in Südafrika, Nicaragua, England und auf den Philippinen stattfinden.
Frage: Sehr viele Menschen haben sich bisher an der Kampagne beteiligt – allerdings nur innerhalb der Bistumsgrenzen. Wenn es um die große Transformation der Gesellschaft geht: Ist die Aktion nicht nur ein Tropfen auf den heißen Stein?
Waller: Nein. Seitdem die Kampagne im August 2013 eröffnet wurde, stößt sie auch überdiözesan auf großes Interesse, zum Beispiel in den anderen Bistümern oder bei Eine-Welt-Initiativen. Wir haben die Kampagne unter anderem bei der Werkstatt Ökonomie in Heidelberg vorgestellt, die ihrerseits den ökumenischen Prozess „Umkehr zum Leben“ initiiert hat. Dieses Projekt verfolgt eine ähnliche Idee wie unsere Initiative. Hier steckt ein unglaubliches Potential. Um alle Lebensstil-Kampagnen zu vernetzen, die bisher kirchlicherseits in Deutschland angestoßen wurden, werden wir Mitte März 2017 eine große Bundeskonferenz organisieren. Die zweitätige Veranstaltung stellt das große Finale unserer Kampagne dar und ist hoffentlich der Anstoß für viele weitere Initiativen.
Das Interview führte Lena Kretschmann.
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