
Frieden mit links, Gefahr von rechts
Kolumbien ‐ In Kolumbien wächst die Sorge vor einem Machtzuwachs neuer paramilitärischer Banden. Diese könnten nach einem Friedensabkommen mit der linksgerichteten Guerilla zur neuen, alten Bedrohung für das Land werden. Auch die Kirchen schlagen Alarm.
Aktualisiert: 28.04.2016
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Kolumbiens Präsident Juan Manuel Santos schreibt Geschichte: Das Friedensabkommen mit der linksgerichteten Guerilla-Organisation FARC, der größten und ältesten des Landes, ist anscheinend in greifbare Nähe gerückt. Und auch mit der katholisch-marxistischen ELN, der zweiten großen Guerillagruppe beginnen in Kürze direkte Friedensgespräche. Die Mordzahlen in dem südamerikanischen Land haben neue Tiefstände erreicht, immer mehr internationale Touristen entdecken ein befriedetes Kolumbien als neue Attraktion.
Doch der Schein trügt. Erst vor ein paar Tagen zeigten sich die Vereinten Nationen besorgt über die jüngste Gewaltwelle gegen Menschenrechtsaktivisten. Allein in den ersten Monaten des neuen Jahres fielen 17 Menschenrechtler Gewalttaten zum Opfer. Hinter den Anschlägen steckten offiziell als entwaffnet geltende rechte paramilitärische Gruppen ebenso wie gewöhnliche kriminelle Banden, die eine Art soziale Säuberung durchführten, sagte UN-Repräsentant Todd Howland in Bogota. Er rief die kolumbianische Regierung auf, vor allem die Regionen, in denen bislang die FARC die Kontrolle hatte, verstärkt in den Blick zu nehmen, um eine Machtübernahme durch paramilitärische Banden zu verhindern.
Abschluss der Friedensgespräche noch in diesem Jahr
Bereits seit mehr als drei Jahren verhandeln die Regierung und die FARC über ein Ende des jahrzehntelangen bewaffneten Konfliktes, der mehr als 250.000 Menschen das Leben kostete und sechs Millionen weitere zu Flüchtlingen machte. Mit einem erfolgreichen Abschluss der Gespräche wird in diesem Jahr gerechnet.
Doch was kommt danach? Was geschieht mit den Regionen, die bislang fest in den Händen der FARC- oder ELN-Rebellen waren? „Es besteht die Gefahr, dass andere bewaffnete Gruppen das Machtvakuum ausnutzen und versuchen, die Kontrolle zu übernehmen“, sagte UN-Diplomat Fabrizio Hochschild der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) in Bogota. Zuletzt war es vor allem der „Clan Usuga“, der seine Zähne zeigte. Eine schwer bewaffnete Gruppe, die für Vertreibung, Drogenhandel und Erpressung verantwortlich ist und ganze Landstriche unter Kontrolle hat.
Vor ein paar Jahren hatte Ex-Präsident Alvaro Uribe den Paramilitärismus in Kolumbien für beseitigt erklärt. Tatsächlich wurden ranghohe paramilitärische Bandenchefs verhaftet, in die USA ausgeliefert und dort zu langen Haftstrafen verurteilt. Doch die Strukturen blieben, auch wenn die Regierung diese Gruppen inzwischen als gewöhnliche „bewaffnete kriminelle Banden“ (Bacrim) bezeichnet.
Kirche warnt vor wachsender Präsenz der Paramilitärs
Vor genau diesen oft brutal und rücksichtslos vorgehenden neo-paramiliärischen Kräften warnen die Kirchen. Einerseits sei es ein wichtiger Schritt, dass die Regierung nach den Friedensverhandlungen mit der FARC nun auch mit der ELN direkte Friedensgespräche aufgenommen habe, andererseits gebe das Wiedererstarken paramilitärischer Verbände Anlass zur Besorgnis, hieß es in einer von 49 internationalen und nationalen kirchlichen Organisationen unterzeichneten Erklärung. Ihre Sorge: Der Frieden, der noch gar nicht ratifiziert ist, sei durch die wachsende Präsenz der Paramilitärs bedroht.
Ähnlich sieht es auch die FARC, die in den Friedensgesprächen mit der Regierung Santos ein stärkeres Vorgehen des Staates gegen den Paramilitarismus fordert. Werde der nicht beseitigt, so könne es auch keinen Frieden geben, heißt es aus dem Verhandlungsort Havanna. Für die Regierung Santos ist ein energisches Vorgehen gegen die neue, alte Gefahr von rechts deshalb auch zu einer Nagelprobe für einen nachhaltigen Frieden in Kolumbien geworden.
Von Tobias Käufer (KNA)
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