
Von Großmutter zu Mutter Europa
Karlspreis ‐ Am Freitag erhielt Papst Franziskus den Internationalen Karlspreis für seine Verdienste um die Einigung Europas. Und statt der üblichen Sonntagsreden wurde bei der Verleihung in der Sala Regia des Apostolischen Palastes Klartext gesprochen.
Aktualisiert: 09.05.2016
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Der Papst als Retter Europas. Ebendiese Szene, die auf der politischen Bühne lange nicht mehr gegeben wurde, spielte sich am Freitag im Vatikan ab: In der Sala Regia des Apostolischen Palastes erhielt Franziskus den Internationalen Karlspreis für seine Verdienste um die Einigung Europas. Und statt der üblichen Sonntagsreden wurde diesmal Klartext gesprochen: Es könne besser werden mit Europa, sagte Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker in seiner Ansprache und präzisierte: eigentlich „nur noch besser“. Für EU-Parlamentspräsident Martin Schulz ist die „gemeinsame Wertebasis“ Europas ins Wanken geraten. Franziskus, der Papst aus Argentinien, ist in dieser Krise für beide der große Hoffnungsträger.
Bereits das hochkarätige Publikum der Preisverleihung zeigt, wie groß die Hoffnungen sind, die auf Franziskus ruhen. Gekommen ist außer Juncker und Schulz auch EU-Ratspräsident Donald Tusk. Dazu Bundeskanzlerin Angela Merkel, Italiens Ministerpräsident Matteo Renzi, Litauens Staatspräsidentin Dalia Grybauskaite, Spaniens König Felipe VI. und Luxemburgs Großherzog Henri. Das Interesse an einer Karlspreisverleihung im Vatikan war nicht immer so groß: Als Johannes Paul II. (1978–2005) dort 2004 den außerordentlichen Karlspreis erhielt, war der ranghöchste deutsche Gast Altbundespräsident Walter Scheel.
„Was ist mit dir los, Europa?“
Franziskus verzichtet in seiner halbstündigen Rede auf geistesgeschichtliche Höhenflüge. Das Oberhaupt der katholischen Kirche spricht wie ein besorgter, liebevoller Vater: „Was ist mit dir los, humanistisches Europa, du Verfechterin der Menschenrechte, der Demokratie und der Freiheit? Was ist mit dir los, Europa, du Heimat von Dichtern, Philosophen, Künstlern, Musikern, Literaten?“ Es ist ein Weckruf des Papstes, ein Wachrütteln. Drei Dinge seien es, die Europa vor allem brauche: die Fähigkeit zum Dialog, zur Integration und die Fähigkeit, etwas hervorzubringen.
Einmal entlockt der Papst Merkel in der ersten Reihe sogar ein spontanes Lächeln. Da kommt er auf die Großmutter zu sprechen, mit der er Europa im November 2014 vor dem Straßburger Parlament verglich. Das hatte ihm viel Kritik eingebracht. Eine italienische Tageszeitung behauptete im Februar sogar, Bundeskanzlerin Merkel habe sich damals beim Papst persönlich beschwert. Die Bundesregierung und der Vatikan dementierten. Am Freitag nun erweiterte der Papst dieses Bild um den Traum „von einem jungen Europa, das fähig ist, noch Mutter zu sein: eine Mutter, die Leben hat, weil sie das Leben achtet und Hoffnung für das Leben bietet“.
Als „Ermutigung“ habe sie diese Rede des Papstes empfunden, sagt Merkel anschließend. Sie habe die Worte des Papstes als Auftrag verstanden, „Europa zusammenzuhalten, sei es, wenn es um die Währung geht, sei es, wenn es um den Schutz unserer Außengrenze geht und vor allen Dingen, die Menschlichkeit und die humanitäre Aufgabe Europas nicht zu vergessen“.
Tiefe Gräben innerhalb der EU
Wie tief die Gräben innerhalb der EU derzeit sind, zeigen die Reden der drei EU-Spitzenvertreter. Während Schulz das Thema Flüchtlinge in den Mittelpunkt seiner Rede stellt und Juncker zu Beginn seiner Ausführungen sagt: „Wenn Sie, Heiliger Vater, zwölf Flüchtlinge aufnehmen, dann schenken Sie unseren Herzen damit frischen Mut“, so kommt das Wort bei Tusk kein einziges Mal vor. Der polnische Politiker, einer der Gegenspieler Merkels in der Debatte um die EU- Flüchtlingspolitik, beendet seine Rede mit dem kühnen Satz: „Wir können stolz auf Europa sein, weil Europa, Heiliger Vater, Ihnen noch immer ähnelt.“
Auch das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) wies am Montag auf die tiefen Gräben innerhalb der EU hin. „Seit Monaten erleben wir, dass Europa nicht geeint die aktuellen politischen und sozialen Herausforderungen angeht“, zeigte sich Martin Kastler, europapolitischer Sprecher beim ZdK, enttäuscht. Daher sei es ein besonderes, motivierendes Zeichen in diesen schwierigen Zeiten, dass Papst Franziskus den europäischen Karlspreis erhalten habe.
Ein Europa, wie Franziskus es sich vorstellt, beschreibt der Papst so: „Ich träume von einem Europa, in dem Migrant zu sein kein Verbrechen ist.“ Deutsch spricht der neue Karlspreisträger aus Argentinien übrigens nicht. Nur mit Merkel wechselt Franziskus vor der Verleihung während der Privataudienz einige Worte in ihrer Muttersprache. In der Sala Regia bleibt er konsequent beim Italienisch. Vielleicht war auch das ein kleines Zeichen – um den europäischen Anspruch der Veranstaltung zu unterstreichen.
Von Thomas Jansen (KNA) (ergänzt von lek um Reaktionen des ZdK)
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