„Das sind deutliche Worte“
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„Das sind deutliche Worte“

Venezuela ‐ Die Krise in Venezuela verschärft sich zusehends. Lebensmittel und Medikamente werden knapp, Oppositionelle werden verhaftet. Nun interveniert auch die Europäische Union. In einem Positionspapier übt sie harsche Kritik an der Regierung von Präsident Maduro. Adveniat-Experte Reiner Wilhelm ordnet das EU-Dokument für uns ein.

Erstellt: 16.06.2016
Aktualisiert: 16.06.2016
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Die politische und wirtschaftliche Krise in Venezuela verschärft sich zusehends. Lebensmittel und Medikamente werden knapp, Oppositionelle werden verhaftet. Nun hat die Europäische Union ein Positionspapier veröffentlicht, in dem sie die Regierung von Präsident Nicolas Maduro harsch kritisiert und zur Einhaltung der Menschenrechte auffordert. Reiner Wilhelm, Referent beim Lateinamerika-Hilfswerk Adveniat, ordnet das Papier für uns ein.

Frage: Herr Wilhelm, wie bewerten Sie das Schreiben der EU an die Regierung in Venezuela?

Wilhelm: Das Europäische Parlament hat sich in den letzten Jahren wiederholt mit der Situation in Venezuela befasst. Das Positionspapier vom 8. Juni ist aber in mehrfacher Hinsicht beachtenswert: Die EU liefert eine fundierte Analyse der wirtschaftlichen und politischen Situation des Landes. Sie fordert die Regierung Maduros unter anderem dazu auf, die politischen Gefangenen frei zu lassen und die Entscheidungen des demokratisch gewählten Parlaments zu respektieren. Trotz der schweren Krise lässt die venezolanische Regierung keine humanitären Hilfen ins Land. Auch das prangert das Europäische Parlament an. Ebenso mahnt sie zur Einhaltung der Menschenrechte. Maduro müsse für Recht und Ordnung sorgen und einen echten Dialog beginnen. Das sind deutliche Worte.

Bild: © Adveniat

Frage: Wie hoch stehen die Chancen, dass sich Präsident Maduro gegenüber den Forderungen der EU einsichtig zeigt?

Wilhelm: Maduro hat bislang jegliche Kritik an sich, seiner Führung und an seiner Politik ignoriert. Tendenzen zur Autokratie sind deutlich. Innen- wie auch außenpolitisch steht die Regierung Maduros unter Druck. Ich gehe davon aus, dass die Forderungen zunächst einmal nichts bewirken werden. Langfristig wird der Präsident jedoch seine Politik ändern müssen.

Frage: Die Opposition hat fast zwei Millionen Unterschriften für ein Amtsenthebungs-Referendum gesammelt. Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass dieses Referendum tatsächlich stattfindet und Maduro abgewählt wird?

Wilhelm: Maduro setzt alles daran, das Referendum soweit wie möglich hinauszuzögern, damit er die Präsidentschaft im kommenden Jahr an seinen Stellvertreter übergeben kann. Die Opposition hingegen zielt auf eine baldige Amtsenthebung. Die letzten Wahlen im Dezember 2015, bei denen die Opposition zwei Drittel der Sitze im Parlament erreichen konnte, drücken deutlich die Unzufriedenheit der Venezolaner mit der Regierung Maduros aus. In den Wahlen ging es weder um Personen noch um Konzepte oder Programme. Es war ein klares Votum gegen Korruption, Gewalt, Straflosigkeit, die maßlose Bereicherung einer kleinen Gruppe, Misswirtschaft, Inflation und die zunehmende Verschlechterung der Versorgung mit Lebensmitteln, Medikamenten und Dingen des täglichen Bedarfs. Ich gehe davon aus, dass der Druck auf Maduro so stark werden wird, dass das Referendum noch in diesem Jahr stattfindet.

Frage: Inwiefern sind die Projektpartner von Adveniat von der Krise betroffen?

Wilhelm: Die Kirche ist Teil der Gesellschaft. Daher sind unsere Partner ebenfalls betroffen. Es ist schwierig, die Projekte umzusetzen: mal fehlt es an Baustoffen, mal an Lebensmitteln. Vielfach ist es zu gefährlich, das Haus zu verlassen. Hier ist Improvisationstalent gefragt. Die Situation erfordert auch von uns in Deutschland eine große Flexibilität und Geduld.

Das Interview führte Lena Kretschmann.

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