Kirchen mahnen zu einer fairen Gestaltung der Freihandelsabkommen
Welthandel ‐ Am Wochenende wollen bundesweit Zehntausende für Neuverhandlungen der Freihandelsabkommen TTIP und CETA demonstrieren. Die Kirchen mahnen, die Chancen für ein faires Handelssystem wahrzunehmen.
Aktualisiert: 15.09.2016
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Erstmals wird es in Deutschland am Wochenende eine bundesweite Großdemonstration gegen Handelsverträge geben. Ein breites Bündnis von Gewerkschaften, Sozial-, Umwelt- und Entwicklungshilfe-Verbänden fordert eine Neuverhandlung der geplanten Freihandelsabkommen zwischen der EU und Kanada (CETA) sowie der EU und den USA (TTIP). Dabei geht es den meisten nicht um eine generelle Ablehnung des Freihandels.
Dieser schaffe Wirtschaftswachstum, Arbeitsplätze und verringere die Armut, betonen auch die katholischen Bischöfe der EU und der USA in einer gemeinsamen Stellungnahme. Nach den Worten des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz und der EU-Bischofskommission Kardinal Reinhard Marx muss es sich aber um „ein faires Handelssystem“ handeln, „als Teil einer Globalen Sozialen Marktwirtschaft“.
Der Unmut über die geplanten Abkommen speist sich auch aus einer Skepsis gegenüber der Globalisierung. Die Finanz- und Bankenkrise sowie das hemmungslose Vorgehen vieler Großkonzerne haben das Vertrauen in die demokratische Kontrolle von Wirtschaft und Handel erschüttert. Dass sich selbst Abgeordnete nur unter Aufsicht über Zwischenstände der TTIP-Verhandlungen informieren konnten, heizte die Debatte zusätzlich auf. Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) hat TTIP inzwischen für gescheitert erklärt. CETA will der SPD-Vorsitzende aber auf einem Parteikonvent am Montag in Wolfsburg gegen Einwände verteidigen.
Viele Streitpunkte
Immerhin hat Deutschland inzwischen rund 130 zwischenstaatliche Freihandelsabkommen geschlossen. Für Autobauer oder Maschinenhersteller fallen damit Zölle und Handelsbarrieren weg. Allerdings sollen TTIP und CETA auch „nichttarifäre Handelshemmnisse“ beseitigen. Dazu gehören etwa Standards zum Umwelt- und Verbraucherschutz oder die Kulturförderung. Vieles wurde unterdessen auf öffentlichen Druck nachverhandelt. CETA scheint europäische Forderungen etwa bei internationalen Arbeitsnormen stärker zu berücksichtigen.
Statt der besonders umstrittenen intransparenten Sondergerichte soll ein ständiger Investitionsgerichtshof bei Streitfällen zwischen Unternehmen und Staaten entscheiden. Verdi-Chef Frank Bsirske sieht darin aber weiter eine Paralleljustiz. Verbraucherverbände haben zudem eine Verfassungsbeschwerde gegen den geplanten „Gemischten Ceta-Ausschuss“ eingereicht. Über ihn sollen die Handelsminister der EU und Kanadas weiterreichende Befugnisse bei der Ausgestaltung des Vertrags erhalten – vorbei am Gesetzgeber, bemängeln die Kläger.
Ein weiterer Streitpunkt ist die Liberalisierung des Dienstleistungssektors. „Wo es um Erziehung, Pflege oder soziale Arbeit geht, haben Profitinteressen nichts zu suchen“, betont der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes, Ulrich Schneider. Und der Geschäftsführer des Deutschen Kulturrats, Olaf Zimmermann, sieht die „kulturelle Vielfalt“ bedroht: „Weder die öffentliche Förderung von Kultureinrichtungen noch der öffentlich-rechtliche Rundfunk sind ausreichend gesichert.“
Kirche befürchtet Abschottung gegenüber Entwicklungsländern
Eine Sorge beunruhigt besonders der Kirchen: Die mögliche Abschottung gegenüber Entwicklungsländern. Sozialbischof Franz-Joseph Overbeck mahnt konkrete soziale, arbeitsrechtliche und ökologische Standards an. Die Abkommen müssten zu faireren Bedingungen auf dem Weltmarkt beitragen und für Dritt- und Entwicklungsländer offen sein. Für die Präsidentin von Brot für die Welt, Cornelia Füllkrug-Weitzel, widersprechen die Abkommen gar einer werteorientierten Handelspolitik und den Nachhaltigen Entwicklungszielen der Vereinten Nationen. Sie fürchtet besonders um die bäuerlichen Betriebe in den armen Ländern des Südens.
Eine Expertise der Bischofskonferenz betont, dass die Freiheit von Markt und Handel nicht ausreichen, um Gerechtigkeit für alle zu gewährleisten. Dazu seien Regeln notwendig. Mit ethisch fundierten Standards sieht Marx allerdings die Chance, mit den Abkommen zu einer „gerechteren Weltwirtschaftsordnung“ beizutragen. Europa müsse Verantwortung für eine faire Gestaltung der Globalisierung übernehmen, mahnt er. Noch sind die Verhandlungen im Gange.
Von Christoph Scholz (KNA)
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