
Flüchtlingslager in Calais wird geräumt
Flüchtlinge ‐ Politikern war es jahrelang ein Dorn im Auge: das illegale Flüchtlingslager in den Wäldern des nordfranzösischen Calais. Nun läuft die Räumung des sogenannten „Dschungels“. Hilfsorganisationen und Kirchenvertreter kritisieren das Vorgehen und warnen: Damit ist das Flüchtlingsproblem noch lange nicht gelöst.
Aktualisiert: 24.10.2016
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Ein Fünftel der Bewohner des sogenannten „Dschungels“ in Calais hat das Flüchtlingscamp bereits vor der Evakuierung verlassen. Das geht aus einem Zensus der Hilfsorganisation „Help Refugees UK“ hervor, der am Montag veröffentlicht wurde. Während die Zahl der Bewohner gesunken sei, habe sich die Anzahl der unbegleiteten Minderjährigen von 1.022 auf 1.291 erhöht.
Laut der belgischen Zeitung „Le Soir“ seien 200 Minderjährige bereits in Großbritannien mit ihren Familienangehörigen zusammengebracht worden. Hilfsorganisationen zeigten sich jedoch nach wie vor besorgt über das Schicksal der verbleibenden Minderjährigen. Sie versuchten allen besonders verletzlichen Bewohnern des Camps Koffer, Decken und Handys mit Guthaben zur Verfügung zu stellen. Die Organisationen „Help Refugees UK“ und „L'Auberge des Migrants“ warnen, dass viele Flüchtlinge, die weiterhin nach Großbritannien reisen wollen, den Winter in Camps ohne Infrastruktur verbringen müssten. Dort seien sie viel gefährdeter als im „Dschungel“.
Seit Montagmorgen läuft die Räumung des Flüchtlingscamps. Viele Bewohner reihten sich freiwillig in die langen Schlangen zur Abreise ein. Sie können zwei von zwölf französischen Regionen als Prioritäten angeben und werden anschließend mit Bussen dorthin gebracht. Um 8.30 Uhr waren laut der französischen Zeitung „Le Monde“ bereits fünf Busse abgefahren.
Cap Anamur: Keine Besserung nach Räumung in Calais
Die Hilfsorganisation Cap Anamur kritisierte, durch die Räumung des Lagers werde sich die Lage nicht bessern. „Man hätte in den letzten Jahren aktiv werden müssen – mit Sozialarbeitern, mit Betreuern, mit Möglichkeiten, Asylanträge zu stellen“, sagte Cap-Anamur-Mitglied Frank Jablonski am Montag in SWRinfo.
Die Zustände in dem Camp seien katastrophal, so Jablonski. Es habe sich auf einer Müllkippe am Rande der Stadt entwickelt. Trotzdem wollten etliche Flüchtlinge den Ort nicht verlassen. Die Menschen seien in weiten Teilen nicht bereit, ihre Verteilung auf reguläre Flüchtlingslager zu akzeptieren. „Die haben das ganz klare Ziel, nach Großbritannien zu gelangen zur Familie.“
Jablonski sagte, er erwarte zwei mögliche Reaktionen der Flüchtlinge. „Die werden jetzt entweder das Lager verlassen und sich in den umliegenden Wäldern verstecken, dort campieren und es wird ein neues Lager entstehen, oder ich befürchte, dass es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen kommen wird.“
Französischer Bischof fordert Mentalitätswechsel
„Mir liegt dieser Ansatz der Räumung nicht“, sagte der Bischof von Arras, Jean-Claude Jaeger, gegenüber Radio Vatikan in einer ersten Reaktion. Man bräuchte dringend einen Mentalitätswechsel, so der Bischof weiter. Frankreich und auch andere westliche Länder versuchten gar nicht erst, das Problem der Migration an der Wurzel zu behandeln. Stattdessen setze gerade Paris auf die scheinbar einfache Lösung: Auflösung des Lagers gleich Lösung des Flüchtlingsproblems.
Die Kirche erinnere, so Jaeger, in der derzeitigen Lage jeden an seine Verantwortung. Es gehe darum, „im Respekt vor der Würde des Menschen zu handeln“. Die Kirche könne auch den Schrei der Einwohner von Calais hörbar machen, so der französische Bischof. (lek/KNA/Radio Vatikan)
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