Burkina Faso: Frieden ist möglich!
Burkina Faso ‐ Vor einem Jahr wurde Burkina Faso von einem schweren islamistischen Terroranschlag getroffen. Insgesamt 30 Menschen starben. Dabei galt das Land in Westafrika immer als Beispiel dafür, wie Christen und Muslime gut zusammenleben können. Ist dieses Vorbild der Toleranz jetzt in Gefahr? Es gibt Menschen, die sich damit nicht abfinden wollen.
Aktualisiert: 19.03.2024
Lesedauer:
Vor einem Jahr wurde Burkina Faso von einem schweren islamistischen Terroranschlag getroffen. Insgesamt 30 Menschen starben. Dabei galt das Land in Westafrika immer als Beispiel dafür, wie Christen und Muslime gut zusammenleben können. Ist dieses Vorbild der Toleranz jetzt in Gefahr? Es gibt Menschen, die sich damit nicht abfinden wollen.
Ein Tag der Trauer sei es, aber auch ein Tag der Freude. Die Delegation aus der großen Moschee von Dori in Burkina Faso hat soeben das katholische Bischofshaus betreten. „Bitte, nehmen Sie doch Platz,“ sagen die Gastgeber. Man reicht kühles Wasser und etwas roten „Bissap“, das beliebte Getränk aus Hibiskusblättern. Warum die Trauer, warum die Freude? Vor wenigen Tagen ist der Imam von Dori verstorben. Ein großer Verlust für die muslimische Gemeinde. Aber es gibt jetzt einen Nachfolger: El Hadji Mahamoudou Yaha Cissé. Begleitet von einigen Beratern will er sich bei seinen katholischen Nachbarn vorstellen. Die Christen empfangen ihn gerne. In grünes Gewand gehüllt, blickt er in die Runde.
Sprechen wird der Imam heute nicht selber. Das übernimmt einer seiner Begleiter. Der ergreift höflich das Wort – und spricht einen leisen, großen Satz des Dankes: „Ihr Christen wart immer an unserer Seite. An guten Tagen und an schlechten Tagen. Und an normalen Tagen.“
Fangen wir gleich bei den schlechten Tagen an, denn davon gab es genug in der letzten Zeit. Ob in Burkina Faso oder anderswo. Es war ein großer Schock, als am 15. Januar 2016 sechs bewaffnete Attentäter in der Hauptstadt Ouagadougou auf die Avenue Kwame Nkrumah traten und ein Café und danach ein mehrstöckiges Hotel stürmten. Sie nahmen 147 Geiseln, 30 Menschen kamen ums Leben, viele davon Ausländer aus Staaten wie Kanada, den USA und Frankreich. Aber auch viele Einheimische.
Es war ein Terroranschlag, verübt von Männern und – mindestens – zwei Frauen, die der Organisation „al Qaida im Maghreb“ (AQIM) angehörten. Eine von jenen Vereinigungen also, die sich auf den Islam berufen und davon überzeugt sind, Ungläubige töten zu müssen.
Muslime sind die Mehrheit, die Christen haben politischen Einfluss
Typisch für das Land Burkina Faso ist ein solches Ereignis nicht, im Gegenteil. „Unser Land ist ein Modell für den Dialog und der Toleranz zwischen den Religionen,“ betont Bischof Joachim Ouédraogo. Er war sechs Jahre Bischof in Dori, und leitet jetzt das Bistum Koudougou. Er sieht den Einsatz für Frieden, Verständigung und dafür, dass sich Menschen unterschiedlicher Glaubensrichtungen besser verstehen, als eine seiner großen Aufgaben.
Je nach Statistik und je nach Region sind die Muslime in Burkina Faso deutlich in der Mehrheit. Bis zu 80 Prozent bekennen sich zum Islam, Christen machen etwa 15 Prozent des Landes aus. Traditionelle Religionen haben ebenfalls viele Anhänger. Dialog und Austausch seien in der Kultur des Landes tief verwurzelt, sagt Bischof Joachim: „Wir lachen gemeinsam, wir streiten gemeinsam.“ Die ersten Muslime kamen vor langer Zeit als arabische Händler über die großen Karawanenstraßen. Christliche Missionare aus Europa siedelten sich erst mit den französischen Kolonialherren Anfang des 20. Jahrhunderts an. Während Muslime im Geschäftsleben als Händler auf den Märkten arbeiten, haben die Christen größeren Einfluss in der Politik.
Dass es innerhalb derselben Familie viele unterschiedliche Glaubensrichtungen gibt, ist weit verbreitet. Gemischte Ehen sind es ebenfalls. Ein Katholik kann eine Muslimin heiraten, der Sohn wächst als katholischer Christ auf, die Tochter heiratet vielleicht einen Protestanten. Also alles kein Problem?
Burkina Faso liegt in einer problematischen Region. Vor allem die nördlichen Nachbarn gelten seit langem als Krisenherde. „Mit den Schwierigkeiten in Mali und im Niger bekommen auch wir bei uns Probleme, die wir vorher nicht hatten“, sagt François Ramdé. Er leitet die „Union Fraternelle des Croyants“ (UFC) Dori. Übersetzt heißt das: „Gemeinschaft der Glaubenden“ – eine kirchliche Organisation, die seit 1969 besteht und Christen und Muslimen in gemeinsamen Projekten vereint.
Immer mehr Radikale kommen aus dem arabischen Ausland
Sie bauen Brunnen, stellen Werkzeug und Saatgut zur Verfügung, damit die Menschen in der trockenen Sahel-Region auf ihren Feldern einen besseren Ertrag erwirtschaften können. Und damit die Terroristen weniger Unterstützung bekommen. François Ramdé ist überzeugt: Wenn die Menschen arm bleiben und keine Perspektive auf ein besseres Leben haben, dann haben die Terroristen leichtes Spiel. Seit der Tuareg-Rebellion von 2012 und der Machtübernahme durch Islamisten in Nord-Mali kamen viele hundert Menschen als Flüchtlinge herüber nach Burkina Faso. Sie leben bis heute in Lagern der Vereinten Nationen.
Es hält sich der Verdacht, dass auch einige Kriminelle die Flüchtlingslager als Unterschlupf genutzt haben. Bewiesen ist das bisher nicht. Die Grenze zu Mali und Niger ist 1300 Kilometer lang – unmöglich, jeden Abschnitt zu kontrollieren. Erst im Dezember gab es wieder einen Überfall auf eine Kaserne der burkinischen Armee. Zwölf Soldaten starben.
Das Toleranzmodell Burkina Faso wird vor allem an seinen Rändern erschüttert. „Wir dürfen dabei eines nicht vergessen,“ sagt Bischof Joachim. „Auch unter den Christen gibt es welche, die nicht tolerant sind.“ Für steigende Spannungen zwischen den Religionen werden oft auch die aufstrebenden evangelikalen Pfingstgemeinden verantwortlich gemacht, die in ganz Afrika an Zulauf gewinnen. Zum Beispiel in der alten Kolonialstadt Bobo-Dioulasso, im Süden des Landes.
Durch den hektischen Straßenverkehr der zweitgrößten Stadt von Burkina Faso zwängt sich ein Lastwagen, auf dessen offener Ladefläche an die dreißig Frauen und Männer jubeln, tanzen und singen. Sie werfen Flugblätter in die Luft und werben für einen großen Auftritt. Vor ihnen fährt ein Geländewagen, in dem ein fast noch jugendlich wirkender Mann sitzt. Sein Gesicht ist auch auf den Flugblättern zu sehen: Daniel Kolenda, charismatischer Prediger der protestantischen Freikirche „Christ for all Nations“, die vom Deutschen Reinhard Bonnke in Nigeria gegründet wurde. Die Fahrzeuge sind auf dem Weg zum traditionellen Oberhaupt der Stadt. Daniel Kolenda will um Erlaubnis für die geplante Veranstaltung bitten. An den folgenden Tagen wird er ein ganzes Sportstadion füllen und von Jesus Christus predigen. „Den Islam greifen wir nicht an“, betonte er vor kurzem in einem Interview. Trotzdem spricht er in seinen Werbebotschaften von einem „Kreuzzug für das Evangelium“. Kirchengründer Bonnke trägt den Spitznamen: „Mähdrescher Gottes“. Daniel Kolenda holt Menschen auf die Bühne, die angeblich von schweren Leiden geheilt wurden. Einer Muslimin im Schleier überreicht er eine Broschüre mit dem Titel: „Jetzt bist du gerettet“.
Während Prediger Kolenda und seine Entourage vorbeiziehen, öffnet ein Mann namens Alassane Bisiri das Tor zur großen Moschee von Bobo-Dioulasso. Es ist eines der Lehmgebäude, wie sie in der Region typisch sind. Auch in Mali und Ghana finden sich solche Gotteshäuser, deren Mauern jeweils nach der Regenzeit neu verputzt werden müssen. Die Moschee steht seit mindestens 1882 hier. Die Vorfahren von Alassane Bisiri haben sie erbaut. Er zeigt die Gebetsräume und gibt Auskunft über die Geschichte des Bauwerks. Über eine enge Wendeltreppe gelangt er nach oben, auf das Dach, von dem aus früher der Muezzin den Gebetsruf verkündete und heute elektrische Lautsprecher an dessen Stelle getreten sind. Alassane Bisiri sagt: „Ich weiß nicht wie es in anderen Ländern ist, aber hier in Burkina Faso respektieren sich die Religionen. Christen und Muslime müssen gemeinsam für den Frieden arbeiten.“
Sie wollen sich nicht so einfach spalten lassen
Das ist genau die Meinung, die auch Katholikenwie Bischof Joachim Ouédraogo und François Ramdé vertreten. „Unterschiede zwischen den Religionen und den Kulturen dürfen kein Grund sein, sich zu spalten, sondern viel mehr eine Chance zur Einheit,“ sagt François Ramdé. Aber zu viel Toleranz ruft auch Kritik hervor. Bischof Joachim: „Wir beobachten vor allem viele junge Leute, die zum Studium nach Libyen oder Saudi-Arabien gehen. Und wenn sie zurückkommen, dann sind sie in ihrem islamischen Glauben oft viel radikaler als zuvor. Sie behaupten sogar, dass ihre eigenen Eltern keine wahren Muslime sind.“ Nicht nur die alten, traditionellen Moscheen aus Lehm findet man in Burkina Faso, sondern eine ganze Reihe von neuen Moscheen, die arabische Schriftzeichen tragen. Oder an denen eine türkische Flagge hängt.
Wie die Organisation „International Crisis Group“ in einer aktuellen Studie schreibt, soll allein das Emirat Katar in den wenigen Jahren zwischen 2009 und 2015 den Bau von genau 496 Moscheen finanziert haben.
Der Vorwurf, dass er kein „wahrer Muslim“ sei, hat auch den Imam von Dori, Mahamoudou Yaha schon ereilt. Nicht nur, weil er seinen Antrittsbesuch im katholischen Bischofshaus gemacht und mit den Christen Wasser und Hibiskussaft getrunken hat – nein, der höchste Vertreter der muslimischen Gemeinde kam sogar zur Ostermesse in die katholische Kathedrale. Das war kaum mehr als zwei Monate nach dem schweren Anschlag von Ouagadougou. Der Imam nahm am christlichen Gottesdienst teil, gleich neben ihm stand François Ramdé. Eine große Geste des Zusammenhalts.
Nachher wurden Bilder von diesem Besuch verbreitet, und François Ramdé erhielt begeisterte Reaktionen. „Eine Lektion für alle Extremisten“, schrieb ihm einer. „Genau die richtige Antwort“, sagte ein anderer. Aber es meldeten sich auch einige andere Stimmen: „Wer zu den Feinden Gottes geht, der ist selbst ein Feind Gottes.“ Und: „Möge Allah ihn auf den rechten Weg zurückfuhren.“ Bischof Joachim Ouédraogo sagt: „Diese Radikalen wird es immer geben. Aber wir müssen dafür sorgen, dass sie nicht gewinnen.“ Sie wollen weiter zusammenarbeiten, in guten wie in schlechten Zeiten. Und an allen anderen Tagen auch.
Von Christian Selbherr, Missio München
© Missio München