
Philippinen: Bauern sind Loser
Philippinen ‐ Auf den Philippinen will kein junger Mensch noch Bauer werden, denn die Bauern gelten als „Loser“. Sie sind die Verlierer einer aggressiven Agrarindustrie, die die Rechte der Bauern mit Füßen tritt, berichtet der Jesuit Pedro Walpole. Dabei waren die Philippinen das erste asiatische Land, das sich in den 1960er Jahren gegenüber der industriellen Landwirtschaft öffnete. So begann auch der Agrarkonzern Monsanto, sein gentechnisch verändertes Saatgut in Kombination mit dazu passenden Pestiziden wie dem Glyphosat „Roundup“ zu vertreiben. Über die Konsequenzen sprachen wir mit Pedro Walpole, der seit über 20 Jahren auf den Philippinen lebt.
Aktualisiert: 20.11.2017
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Auf den Philippinen will kein junger Mensch noch Bauer werden, denn die Bauern gelten als „Loser“. Sie sind die Verlierer einer aggressiven Agrarindustrie, die die Rechte der Bauern mit Füßen tritt, berichtet der Jesuit Pedro Walpole. Dabei waren die Philippinen das erste asiatische Land, das sich in den 1960er Jahren gegenüber der industriellen Landwirtschaft öffnete. So begann auch der Agrarkonzern Monsanto, sein gentechnisch verändertes Saatgut in Kombination mit dazu passenden Pestiziden wie dem Glyphosat „Roundup“ zu vertreiben. Über die Konsequenzen sprachen wir mit Pedro Walpole, der seit über 20 Jahren auf den Philippinen lebt.
Frage: Pater Walpole, wie bekommen Kleinbauern auf den Philippinen die Effekte von Pestiziden wie Glyphosat zu spüren?
Walpole: Glyphosat senkt zunächst einmal das Arbeitspensum auf dem Land. Es reduziert Arbeit, die womöglich von Kindern ausgetragen werden müsste. Es gibt also einen schnellen positiven Effekt, worin die Bauern natürlich einen Vorteil sehen. Aber sie sehen nicht die finanziellen Dynamiken dahinter. Wir haben die Landwirtschaft in vielen Ländern in die Hände der Industrie gegeben. Und so hat der Markt die Kontrolle darüber. Die Landwirtschaft hängt von internationalen Telefonaten ab: Was ist der Preis von Sojabohnen im Amazonas im Vergleich zu Getreide auf den Philippinen oder einer weiteren Pflanze in Afrika? Die Bauern haben das Gefühl, selbst gehandelt zu werden. Sie sind in diesen Strukturen gefangen und haben wenige Möglichkeiten, herauszukommen und ihre Situation zu verbessern.
Dort, wo ich lebe, gibt es Glyphosat seit sieben bis zehn Jahren. Noch können wir keine gesundheitlichen Langzeitwirkungen des Umgangs mit dem Pestizid erkennen. Aber wenn ich Bauern sehe, die das Pestizid mischen, mit normaler Kleidung und bloßen Händen, dann sehe ich große Risiken. In Europa trägt dazu schließlich jeder weiße Schutzkleidung, die einer Astronauten-Uniform gleicht. Unsere Bauern hingegen scherzen: Wenn es gut für die Pflanzen ist, ist es gut für uns.
„Wir haben die Landwirtschaft in die Hände der Industrie gegeben.“
Frage: Neben dem Umgang mit Pestiziden werden auch zunehmend Monokulturen geschaffen. Welche Auswirkungen hat das?
Walpole: Die Agrarhändler zwingen die Bauern, in feuchtem Boden, wo eigentlich Bananen und andere Pflanzen angebaut werden, Getreide anzubauen. Wo ich wohne, hat es deshalb an die 200 Erdrutsche gegeben. Da verlieren sie schon mal einen halben Hektar Land, der einfach absackt. Diese Monokulturen schaden der Landschaft. Die Händler sehen das nicht als ihr Problem, die armen Bauern müssen es ausbaden. Die Bauern auf den Philippinen werden immer älter, das Durchschnittsalter liegt bei 57 Jahren. Es gibt kaum Nachwuchs, denn die Jungen wollen das nicht mehr machen. Die Bauern sind die Verlierer der Gesellschaft. Die Jugendlichen arbeiten lieber in Hühnerfabriken und anderen Industrieanlagen, wo sie dann Staub und Chemikalien ausgesetzt sind, die sie krank machen. In unserer Dorfschule haben wir beschlossen, dass wir nur noch lokale Hühner kaufen, die frei von Antibiotika und anderen Stoffen sind. Die Menschen fangen an, sich Gedanken zu machen über solche Dinge und Entscheidungen zu treffen.
Frage: Sie sind auch Mitglied des Netzwerks Ecojesuits. Worum geht es?
Walpole: Wir versuchen, Jesuiten und ihre Partner weltweit zu vernetzen und für Umweltschutz stark zu machen. Wir wollen kontinuierlich im Gespräch sein, alle regelmäßig Erfahrungen und Reflexionen auf unserer Internetseite teilen. Das Netzwerk hilft uns, zusammenzustehen und zu sehen, wie viele andere Menschen engagiert sind. Wir versuchen nun Kooperationen auszubauen. Also nicht nur ein Think Tank, sondern ein „Work Tank“ zu sein. Wir verteilen Texte in Schulen, haben Programme wie „Flights for Forest“, bei dem wir Jesuiten weltweit bei jedem Flug um eine Spende von 5 Dollar bitten, die in Umweltschutzprojekte mit indigenen Jugendlichen in Kambodscha, Indonesien und hoffentlich auch bald im Amazonas fließen sollen. Wir engagieren uns im Waldschutz, dem Kohleausstieg und auch gegen Lebensmittelverschwendung. Diese Themen wollen wir zunehmend in unser Bildungssystem und unseren Lebensstil integrieren.
Frage: Sie leben seit über 20 Jahren mit Indigenen zusammen und engagieren sich für ihre Rechte. Inwiefern sind Indigene Vorbild für unseren Umgang mit der Natur, wie es auch Papst Franziskus betont?
Walpole: Ihre Beziehung zur Natur ist auch eine Beziehung zur Gemeinschaft. Im Dorf, wo ich lebe, sind alle Altersgruppen im Austausch. Wir hingegen haben heute eine abgetrennte Gesellschaft. Berufstätige reden hier, Kinder sind in der Schule und reden nicht mit Erwachsenen, lernen nicht von den alten Menschen. Wir verlieren die Einladung zu leben. In einer Indigenengemeinschaft kann jeder Teil davon sein, wenn er sich für sie einsetzt. Die Indigenen in meinem Dorf haben aus eigener Initiative heraus eine Gesamtschule um eine Mittelschule erweitert. Die meisten der Schulkinder können hinausgehen, an die 500 Pflanzen identifizieren und kennen deren Verwendung genau. Es gibt wenige Botaniker, die das könnten. Sie wissen, wie der Wald sich regenerieren kann, wenn man ihnen die Chance dazu gibt.
Ja, wir können so viel von ihnen lernen. Als der Taifun Pablo vor vier Jahren über uns hinwegfegte, verloren wir alle Häuser. Aber niemand wurde verletzt. Wir wussten, was zu tun war. Weil die Menschen verstanden, in welche Richtung der Taifun ziehen würde und sie suchten Unterschlupf in der Schule, wo sie Süßkartoffeln als Vorrat kochten. Die Regierung ist da viel langsamer.
„Ein indigener Bauer würde niemals sagen: ‚Ich besitze das Land‘.“
Frage: Die Indigenen sind also weitestgehend autark, das allein macht ihre Situation angesichts der Klima- und Landwirtschaftskrise aber nicht einfacher.
Walpole: Durch wie viele Krisen sind die Indigenen bereits gegangen: Identitätskrisen, existenzielle Krisen, die Frage nach der Zugehörigkeit. Vor allem die indigenen Jugendlichen beschäftigt die Frage nach der Zugehörigkeit: Wenn sie nicht das Gefühl haben, dass sie zu dieser Welt und dem Leben um sie herum dazugehören. Auch hundert Jahre nach Ende der Kolonialzeit auf den Philippinen hat die Regierung es nicht geschafft, die Indigenen zu integrieren. Es geht hier auch oft um massive menschenrechtliche Probleme gerade bei den Bauern.
Ich habe über zwanzig Jahre mit der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) zusammengearbeitet, um die Menschen in Asien in der Landwirtschaft und im Waldschutz zu unterstützen. FAO steht immer noch dahinter, aber sie übersehen die massiven menschenrechtlichen Probleme, die heutzutage damit einhergehen. In der Aggressivität, wie die Agrarindustrie heute betrieben wird vom Amazonas bis Indonesien, werden Menschen vertrieben und enteignet. Es ist sehr leicht geworden, die Leute einzuschüchtern, zu manipulieren, die Gemeinschaften zu spalten. Das geschieht sowohl in der Bergbauindustrie als auch in der Landwirtschaft.
Wir tun nichts dafür, den natürlichen Kreislauf des Ökosystems zu nutzen, wie es eine indigene Gemeinschaft tun würde. Sie würden niemals alles für sich haben wollen. In den meisten indigenen Gemeinschaften würde niemand sagen: „Ich besitze das Land“. Darüber lachen sie nur. Sie sagen vielmehr: „Ich gehöre dem Land, ich komme aus der Erde und ich gehe dorthin zurück.“ Sie sind nicht so kontrollsüchtig und sie würden immer teilen. Aber sie sind gezwungen, sich am stärksten an diese neuen Bedingungen – auch an den Klimawandel – anzupassen. Man kann nicht von diesen Ländern erwarten, alle Anpassungen alleine zu stemmen. Und meine Botschaft an die Industrieländer: Geben Sie uns nicht nur eine technologische Lösung, sondern eine menschliche!
Das Interview führte Claudia Zeisel
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