Chinas Religionsgesetze werden restriktiver

Chinas Religionsgesetze werden restriktiver

China ‐ Die Religionsgesetze in China werden zwar strenger. Das heißt aber nicht, dass sie alle umgesetzt werden. Ein Besuch vor Ort.

Erstellt: 12.12.2017
Aktualisiert: 19.03.2024
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Am Ende stellen sich alle zum Gruppenbild vor den Altar, den Pfarrer nehmen sie in die Mitte. Die Pilgergruppe kommt aus der Provinz Shanxi, der Pfarrer aus Peking. Es ist ein kalter Tag im Spätherbst. Nach der Messe spricht die Gruppe noch ein Gebet vor der Marienstatue draußen auf dem Platz. Dann ein kurzer Besuch im kleinen Laden, der Rosenkränze, Holzkreuze und Heiligenbilder in grellen Farben verkauft. Der Bus wartet schon.

Peking als christliche Pilgerstätte? Der Sitz der Kommunistischen Partei, das Zuhause des chinesischen Präsidenten Xi Jinping, der gerade erst die Daumenschrauben für alles angezogen hat, das nicht die Partei im Namen trägt? Für die Gläubigen aus Shanxi ist das kein Widerspruch. Kirche und Partei, das ist für sie mehr oder weniger dasselbe. Sie gehören der offiziellen katholischen Staatskirche an, der sogenannten Patriotischen Vereinigung.

Auf protestantischer Seite gibt es zwei staatliche Organisationen: den Christenrat und die sogenannte Drei-Selbst-Bewegung (die Kirchen müssen sich selbst verwalten, selbst finanzieren und das Evangelium selbst verkünden). Zwar herrscht in China für fünf Religionen bzw. Konfessionen – Islam, Buddhismus, Taoismus, Katholizismus, Protestantismus – Glaubensfreiheit. Was aber Glaube bedeutet, kontrolliert und steuert der Staat beziehungsweise die Partei.

„China gehört den Chinesen; eine Einflussnahme von außen ist unerwünscht, und das schließt den Papst ein“, sagt ein China-Kenner, der seit mehr als zwei Jahrzehnten im Land lebt, seinen Namen aber nicht nennen möchte. Denn anders als die Besucher aus Shanxi ist er Mitglied der sogenannten Untergrundkirche, also jenes Teils der Katholiken, die explizit Rom die Treue halten.

Bild: © China-Zentrum

Bei den Protestanten nennen sich die Gemeinden außerhalb der zwei Staatsorganisationen „Hauskirchen“. Oft treffen sich die Gläubigen in Privatwohnungen oder in einem Haus, möglichst eines, das nicht auffällt. Wobei in China immer die Frage ist, ob es wirklich nicht auffällt – oder ob es in den berühmten Graubereich fällt, ohne den das Land schlicht nicht denkbar ist, nicht funktionieren würde. Hier sind Dinge möglich, die offiziell eigentlich nicht erlaubt sind. Die Glaubensgemeinschaften agieren hier ebenso wie Menschenrechtler und ihre Anwälte, wie Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen.

Auch Dong, wie er hier heißen soll, ist Mitglied der Untergrundkirche. Er will Priester werden; zurzeit ist er Seminarist. Seine Gemeinde hat vor ein paar Monaten ein neues Haus 40 Kilometer außerhalb Pekings bezogen. Der Eigentümer weiß, an wen er sein Haus vermietet hat, und auch die Nachbarn wundern sich nicht über die 100 Leute, die sonntags ins Dorf kommen. Sie sind selbst Katholiken und gehen zum Gottesdienst. Auch das Dorf, aus dem Dong stammt, 300 Kilometer von Peking entfernt, gehört der Untergrundkirche an, seit Jahrzehnten schon. „Aber weil wir keine Probleme machen, weil wir nichts fordern, lassen uns die lokalen Behörden in Frieden“, sagt Dong.

Ähnliches kann Isabel Hess-Friemann erzählen. Sie ist Leiterin der China-Infostelle in Hamburg und hat mit ihrer Familie acht Jahre in Peking gelebt. Sie kennt eine Chinesin, die seit vielen Jahren Mitglied einer evangelischen Hauskirche ist. „Einmal im Jahr bekommt die Gemeinde Besuch von der staatlichen Religionsbehörde. Dann sitzen sie zusammen und reden darüber, was die Gemeinschaft so macht.“ Manchmal fragen die Behördenvertreter, ob sich die Hauskirche nicht der offiziellen Kirche anschließen möchte. Das will sie natürlich nicht, also wird gemeinsam Tee getrunken und die Behördenleute gehen wieder. Alles ist in Ordnung. Noch.

Seit Xi Jinping an der Macht ist, hat sich die Lage verschärft. Es gibt neue, sehr restriktive Gesetze, die allerdings nicht nur die Religionsgemeinschaften betreffen, sondern die gesamte Zivilgesellschaft. Allerdings: In China wird nicht alles, was in den Regularien steht, auch tatsächlich umgesetzt. „Zudem ist das regional sehr unterschiedlich“, sagt Hess-Friemann.

So bleibt es – vorerst – bei Einzelberichten: von Kindern, die nicht zum Gottesdienst dürfen; von Priesteranwärtern, die tageweise in Gewahrsam genommen werden; von Parteikadern in armen Regionen, die den Menschen mitteilen, dass nicht Jesus, sondern Xi sie aus der Armut befreien wird, woraufhin die Bauern ihre Jesusbilder und Kreuze von den Wänden nehmen und ein Porträt des Präsidenten aufhängen. Oder von der Deutschen Kantorei in Peking, die nicht mehr außerhalb des Botschaftsgebäudes singen darf, wo sonntags deutschsprachige evangelische und katholische Gottesdienste stattfinden. Vor zwei Jahren war das noch problemlos möglich.

Dong beunruhigen die neuen Gesetze nicht. „Sie werden kommen und uns kontrollieren, aber das kennen wir schon“, sagt er und erzählt, dass die Gemeinde in seinem Heimatdorf weiter wächst; dass sich nach dem Gottesdienst kleinere Gruppen zusammentun, um in Dörfer zu fahren, wo der christliche Glaube noch nicht verbreitet ist. Er weiß, dass die Kirche den Menschen gibt, was sie in einem zunehmend konsumorientierten China nicht finden können: Sinn und Richtung. „Das Christentum ist eine Glückserfahrung. Wir treffen uns, singen, fassen uns an den Händen. Das ist eine Kontrastgesellschaft zum alltäglichen Überlebenskampf.“

Von Stefanie Ball (KNA)

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