Mode aus Müll
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Mode aus Müll

Bangladesch ‐ Berge von Stoffabfällen lagern am Straßenrand in Bangladeschs Hauptstadt Dhaka und vergiften das Grundwasser. Die Designerin Reet Aus versucht, Modeketten davon zu überzeugen, aus dem Abfall hochwertige Kleidung zu produzieren.

Erstellt: 07.02.2018
Aktualisiert: 06.02.2018
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Berge von Stoffabfällen lagern am Straßenrand in Bangladeschs Hauptstadt Dhaka und vergiften das Grundwasser. Die Designerin Reet Aus versucht, Modeketten davon zu überzeugen, aus dem Abfall hochwertige Kleidung zu produzieren.

Dhaka, Bangladesch: Die estnische Mode-Designerin Reet Aus ist fast am Ziel ihrer Suche. Mit einer „Zara“-Jeans im Gepäck ist sie von Osteuropa zu den Laufstegen von London und über die Baumwollfelder in Peru weiter zur textilverarbeitenden Industrie in Asien gereist. Mit brennenden Fragen: Warum dreht sich das Modekarussell immer schneller? Wieso landet ein Drittel der produzierten Kleidung nie in unserem Kleiderschrank, sondern am Straßenrand oder in der Müllverbrennungsanlage? Kann es gelingen, ressourcenschonend modische Kleidung in großer Stückzahl herzustellen? Ist es möglich, durch gutes Design aus Müll Mode zu machen?

Auf den verstopften Straßen von Dhaka geht es nur im Schritttempo voran. Bis zu Beximco, Bangladeschs größter Textilfabrik in Kashipur, 30 Kilometer vom Stadtzentrum Dhakas entfernt, benötigt die Designerin fünf Stunden.

Unterwegs fährt sie an meterhohen Müllbergen vorbei: Stoffreste, falsch genähte Kleidung, Stücke aus Überproduktion. Dass die Textilfabriken ihren Müll einfach am Straßenrand entsorgen, scheint niemanden zu stören. Dabei lauert in der bunten Masse Gefahr. Jeder Regen wäscht Chemikalien aus den Stoffen und vergiftet das Grundwasser.

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Als Reet Aus bei Beximco vorfährt, öffnet sich das große Tor in der roten Ziegelsteinmauer, die das weitläufige Gelände umgibt. Dahinter erhält die junge Estin Gewissheit. Die „Zara“-Jeans, mit der sie um die Welt reiste, ist bei Beximco genäht worden. Neben „Zara“ lassen hier unter anderem H&M, C&A, Tommy Hilfiger und Calvin Klein produzieren. Mehr als 240 Millionen Kleidungsstücke verlassen die Fabrik im Jahr. Da Stoff so billig ist, kaufen die Firmen großzügig ein. Dass bis zu 18 Prozent Abfall übrig bleiben, ist für die großen Handelsketten kein Problem. Wohl aber für Reet Aus. Die Modedesignerin möchte Überproduktion verhindern und neues Bewusstsein schaffen für den Wert der Kleidung. „Ich habe entschieden, nichts Neues mehr zu kaufen, sondern textilen Abfall für meine Kollektionen zu nutzen“, erklärt sie. „Upcycling“ heißt der Vorschlag, mit dem sie den Geschäftsführer von Beximco konfrontiert. Und überraschend auf offene Ohren stößt.

Sie möchte eigentlich nur eine Erlaubnis, um in der Fabrik fotografieren zu dürfen, doch das Management zeigt sich fasziniert von der Idee, aus Textilabfällen modische Sportkleidung in großer Stückzahl herzustellen – parallel zur laufenden Produktion. Dass das möglich ist, beweist die 43-Jährige, als sie kurzfristig für ein Sängerfestival in ihrer Heimat 23.000 T-Shirts aus Stoffabfällen nähen lässt. Ein Großauftrag, der im Vergleich zur herkömmlichen Fertigung bis zu 80 Prozent Wasser und Energie spart.

In Zeiten, in denen sich Modefirmen zunehmend drängenden Fragen nach den sozialen und ökologischen Folgen ihrer Produktion stellen müssen, bietet „Upcycling“ eine Möglichkeit, Verantwortung zu übernehmen. Einfach ist die Überzeugungsarbeit trotzdem nicht. Reet Aus jedoch bleibt beharrlich und führt Gespräche mit verschiedenen Handelsketten. Sie sagt: „Nur wenn die großen Marken einsteigen, wird sich das System ändern. Ansonsten bleibt Upcycling-Mode ein Nischenprodukt.“

Für ihre Marken „Reet Aus“ und „Up-shirt“ hat sie im vergangenen Jahr in Indien und Bangladesch 10.000 Kleidungsstücke aus Textilresten fertigen lassen. Sie werden über das Internet und in ausgewählten Läden – auch in Deutschland – verkauft. Mit der eigenen Kollektion in kleiner Stückzahl geht sie voran und hofft, dass sie bald weltweit agierende Modeunternehmen für ihren Ansatz gewinnen kann.

„Wir hatten die Chance, mit C&A zu sprechen. Im Moment sind sie ziemlich an unserer Idee interessiert. Wir müssen sehen, wie es jetzt weitergeht.“ Reet Aus nimmt auch die Kunden in die Pflicht: „Sie entscheiden durch ihren Einkauf, wie Kleidung zukünftig hergestellt wird.“ Bedeutsame Veränderungen lassen sich nicht über Nacht herbeiführen. Sie brauchen Pioniere. Es gibt einige Initiativen, die die Kleiderindustrie revolutionieren möchten. Reet Aus trägt ihren Teil dazu bei.

Von Eva-Maria Werner

Dieser Text erschien in der Januarausgabe 2018 des Missionsmagazins „kontinente“.

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