Wenn Bauern hoffnungslos verschuldet sind
Indien ‐ Die Bauern Indiens stecken in der Krise. Die moderne Agrarwirtschaft raubt ihnen zunehmend Unabhängigkeit. Viele verschulden sich, greifen in ihrer Hilflosigkeit zum Alkohol oder nehmen sich gar das Leben. Der Caritas-Experte Saju Moonjely Kunjavara, Misereor-Partner aus Indien, hilft den Bauern, sich besser selbst zu organisieren und auf ihre eigenen Traditionen zu vertrauen. Auch Frauen will er stärker mit einbinden. Während der Misereor-Fastenaktion war er zu Gast in Deutschland.
Aktualisiert: 04.01.2023
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Die Bauern Indiens stecken in der Krise. Die moderne Agrarwirtschaft raubt ihnen zunehmend Unabhängigkeit. Viele verschulden sich, greifen in ihrer Hilflosigkeit zum Alkohol oder nehmen sich gar das Leben. Der Caritas-Experte Saju Moonjely Kunjavara, Misereor-Partner aus Indien, hilft den Bauern, sich besser selbst zu organisieren und auf ihre eigenen Traditionen zu vertrauen. Auch Frauen will er stärker mit einbinden. Während der Misereor-Fastenaktion war er zu Gast in Deutschland.
Frage: Was ist das Ziel Ihres Projekts?
Saju Moonjely Kunjavara: Ziel des Projekts ist es, Graswurzelbewegungen der Menschen anzuregen und zu stärken. Wir befähigen die Dorfgemeinschaften, ihre Probleme zu definieren und gemeinsam Lösungen zu finden. Ziel ist es, ein kollektives Handeln gegen die Probleme der Bauern anzuregen.
Frage: Was sind die Probleme der indischen Landbevölkerung?
Kunjavara: Es gibt so viele Probleme. Die Bauern sind zurückgeworfen durch die Landwirtschaftskrise. Die Dorfgemeinschaften sind zum Teil gespalten und es fehlt an Zusammenarbeit, an Solidarität.
Frage: Wie kommt es, dass es den Bauern an Solidarität fehlt?
Kunjavara: Früher war auch nicht alles gut, aber es wird langsam besser. Dennoch gibt es weiter viele Probleme und die Dorfgemeinschaften haben sich nicht ausreichend organisiert. Das mag an der wirtschaftlichen Spaltung der Gesellschaft liegen, an der gesellschaftlichen Hierarchie, die auf dem sogenannten Kastensystem beruht. Es kann aber auch an der Gleichgültigkeit der Dorfgemeinschaften liegen. Es gibt so viele Probleme, die den Bauernsektor betreffen, die sozialen Fragen und das allgemeine Regierungssystem der Dorfgemeinschaften.
Frage: In Indien kommt es immer wieder zu Suizid bei Bauern und auch Alkoholmissbrauch ist ein Problem. Wie begegnen Sie diesen Herausforderungen?
Kunjavara: Der Suizid vieler Bauern ist mit der Landwirtschaftskrise gekommen. Mit dem Einzug der globalisierten Landwirtschaft in die ländlichen Gebiete sind die negativen Auswirkungen für das Agrarsystem deutlich geworden. Zum Beispiel dürfen Bauern ihr Saatgut nicht behalten. Die Bauern haben nicht die Ressourcen, das Material oder auch nur das Wissen für das Düngen, die Pflanzennährstoffe oder Schädlingsbekämpfung. In all diesen Bereichen sind sie vom Markt abhängig. Jedes Mal müssen sie dafür viel Geld ausgeben, das sie mit ihrer Ernte gar nicht zusammenbekommen. Denn oft waren die Ernten zu gering – sei es durch die Auswirkungen des Klimawandels oder aufgrund der lokalen Politik. Es gab also eine Krise und die Bauern machten Schulden, die sie nie zurückzahlen konnten. Deswegen haben einige von ihnen sich umgebracht. Was den Alkohol anbetrifft, gehört dieser zur Kultur der Dorfgemeinschaften dazu und sie waren auch immer in der Lage, den Alkoholkonsum im Griff zu halten. Jetzt fahren die Menschen aber auf den ausländischen Likör ab. Das führt auch zur Verschuldung, denn die Bauern können ihn nicht selbst herstellen, sie müssen ihn immer vom Markt kaufen. Der Alkoholkonsum führt also auch zur Verschuldung in den Dorfgemeinschaften.
Frage: Wie stärken sie die Bauern wieder?
Kunjavara: Wir regen die Bauern zur Reflexion an. Bei gemeinsamen Treffen erörtern wir, warum es Rückständigkeit gibt, warum es Armut gibt, warum die Bauern keine Kontrolle über die Landwirtschaft haben. Die Dorfgemeinschaften erzählen uns ausnahmslos, dass sie keine Kontrolle über das Saatgut, das Geld oder die Arbeit, den Markt haben. Wir fangen dann von vorne an und fragen: Warum haben wir keine Kontrolle? Wer hat uns die Kontrolle weggenommen? Schließlich ist die Landwirtschaft ihr Lebensunterhalt und ihre Kultur. Es ist ihre Art, sich Ausdruck zu verleihen. Sie müssen zum Beispiel beim Umgang mit Saatgut auf ihre Traditionen schauen, die älteren Bauern fragen und sich untereinander austauschen. Wir regen die Diskussionen an und versuchen, gemeinsam mit ihnen Lösungen zu finden.
„Lokale, nicht-kommerzielle Anbaumethoden sind besser gegen den Klimawandel gewappnet.“
Frage: Was genau tun Sie für die Frauen im Land?
Kunjavara: Zunächst geben wir ihnen das Zutrauen, dass sie mit Männern gleichberechtig sind. Kulturell wurden sie bislang so geprägt, dass sie immer zu den Männern aufschauen mussten. Wenn wir mit den Frauen arbeiten, geben wir ihnen das Zutrauen, dass sie auch fähig sind. Sie kennen sich in der Landwirtschaft aus, in Gesundheits- und Hygienefragen, Regierungsführung und Haushalten. Wir geben den Frauen Zutrauen, denn sie sind organisiert, sie halten zusammen, sind eine Einheit und stehen ein gegen häusliche Gewalt, Unterdrückung, und Ausgrenzung von Entscheidungen im Bereich der Landwirtschaft. Wir helfen den Frauen, mehr Kontrolle zu erhalten, Entscheidungen zu finden, mehr Anerkennung zu erhalten als Menschen, die die Ressourcen und das Wissen haben und es für die eigene Stärkung einsetzen können.
Frage: Wie betrifft die Bauern der Klimawandel und welche Maßnahmen ergreifen Sie, um sie davor zu schützen?
Kunjavara: Unsere Erfahrung mit den Auswirkungen des Klimawandels wie Überschwemmungen, Dürren, und den Jahreszeiten unangemessene Regenfälle zeigt, dass besonders jene Dörfer betroffen sind, die sich der Mainstream-Landwirtschaft angepasst haben. Die Landwirtschaft hängt von bestimmten agroklimatischen Bedingungen ab. Wenn man nun eine Agrarwirtschaft einführt, die nicht zu den lokalen Klimabedingungen passt, ist die Krise sicher. Früher oder später zahlen die Bauern den Preis dafür. Wir haben festgestellt, dass der Klimawandel auf die eine oder andere Art immer da war. Die lokalen Agrarsysteme sind in der Lage, dem standzuhalten. Sicher ist der Klimawandel in den letzten 15, 20 Jahren schlimmer geworden. Aber die lokalen Landwirtschaftssysteme sind besser in der Lage, die Auswirkungen des Klimawandels in den Griff zu bekommen. Wenn wir mit den Dorfgemeinschaften zusammenarbeiten, versuchen wir also lokale Lösungen zu finden, denn diese sind standardmäßig robuster. Auch lokale Arten von Saatgut wie etwa Hirse sind resistenter gegen die Auswirkungen des Klimawandels. Wenn der Regen etwa ausbleibt, wird es für die Bauern trotzdem etwas abwerfen. Wir helfen den Bauern also, ihre Ernährungssicherheit zu erhalten, indem wir lokale Systeme unterstützen und nicht ein Mainstream-Landwirtschaftssystem, das zu den lokalen Bedingungen gar nicht passt.
Frage: Sie setzen also stärker auf lokale Lösungen als auf das große Agrobusiness?
Kunjavara: Die Bauern erzählen uns ausnahmslos, dass der Markt oder Kräfte von außen dazu führen, dass sie verhungern müssen oder ihre Existenz in Gefahr ist. Gleichzeitig gibt es eine gewisse Hilflosigkeit bei den Bauerngemeinschaften, weil sie schon so lange von diesem Markt abhängen und das Wissen in den Gemeinschaften merklich zurückgegangen ist. Wenn wir mit den Bauern sprechen, stellen wir fest, dass sie eine größere Selbstständigkeit und Kontrolle über ihre Arbeit brauchen. Die Bauern haben diese Herausforderung angenommen.
Das Interview führte Claudia Zeisel
© weltkirche.katholisch.de