Der Mensch hinter meinem Kleid
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Der Mensch hinter meinem Kleid

Fairer Handel ‐ Je mehr ein Produkt wie ein Handy oder ein Kleidungsstück verarbeitet wurde, desto anonymer wird für uns Verbraucher die Herstellung. Dabei dürfen wir die Verbindung zu den Menschen nicht verlieren, die das Produkt für uns gefertigt haben, fordert der Misereor-Referent für Fairen Handel, Wilfried Wunden, zum fünften Jahrestag des Fabrikeinsturzes „Rana Plaza“ in Bangladesch, bei dem über 1.100 Menschen starben.

Erstellt: 24.04.2018
Aktualisiert: 18.11.2022
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Je mehr ein Produkt wie ein Handy oder ein Kleidungsstück verarbeitet wurde, desto anonymer wird für uns Verbraucher die Herstellung. Dabei dürfen wir die Verbindung zu den Menschen nicht verlieren, die das Produkt für uns gefertigt haben, fordert der Misereor-Referent für Fairen Handel, Wilfried Wunden, zum fünften Jahrestag des Fabrikeinsturzes „Rana Plaza“ in Bangladesch, bei dem über 1.100 Menschen starben.

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Frage: Vor fünf Jahren stürzte die Textilfabrik Rana Plaza in Bangladesch ein. Über 1.100 Menschen kamen dabei ums Leben. Was hat sich seither in Bezug auf die Arbeitsrechte der Menschen in Bangladesch getan und wo sehen Sie noch Verbesserungsbedarf?

Wilfried Wunden: Beim Thema Arbeitssicherheit hat sich in Bangladesch tatsächlich einiges getan – auch dank der von der Modeindustrie gestarteten Initiative „Accord“, die sich mit dem Thema befasst. In Bangladesch wird auf die Sicherheit am Arbeitsplatz mittlerweile offenbar deutlich mehr Rücksicht genommen – bereits in den klassischen Textilfabriken, wo die Textilien zusammengestellt werden. Gleichzeitig ist dieses Bündnis „Accord“ nun verlängert worden, weil die Beteiligten gesehen haben, wie viel beim Thema Arbeitsschutz noch nachzuholen ist. Es gibt etwa noch Unklarheit darüber, ob wirklich nur in zertifizierten Fabrikhallen gearbeitet wird, oder nicht doch auch Zulieferer einen Teil der Arbeit erledigen. Allein das scheint noch immer sehr intransparent zu sein.

In Bezug auf das Arbeitsrecht hat es in Bangladesch eine Erhöhung des Mindestlohns gegeben. Gleichzeitig gibt es aber auch neue Ausweichmanöver mancher Modefirmen auf noch „günstigere“ Länder wie zum Beispiel Äthiopien. Also im Bereich Arbeitsschutz hat sich bereits viel getan, aber im Bereich Lohnentwicklung, der Situation insbesondere von Arbeiterinnen, der Frage des Umgangs mit Wasser und Abwasser – all diese Fragen sind bislang noch ungelöst.

Frage: Zumindest hat es nach Rana Plaza Entschädigungszahlungen vonseiten der großen Unternehmen gegeben.

Wunden: Richtig, es wurde auf Vermittlung von der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) ein Entschädigungsfonds eingerichtet. Da hat es in der Tat Zahlungen gegeben, etwa vom Textildiscounter Primark. Das ist aber Nachsorge. Eigentlich ist es doch unser Ziel, zu einer Sorgfalt der Unternehmen im Vorfeld zu kommen. Auch in Bezug auf die Frage, inwiefern Arbeiter Rechtsanspruch auf Entschädigung haben und nicht nur eine Art von anschließender Vermittlungslösung bekommen. Im Übrigen haben die Opfer einen Anspruch auf Nichtwiederholung.

Frage: Was spiegeln Ihnen Partner aus Ihren Projekten in Bezug auf das Thema wieder?

Wunden: In manchen Ländern ist die Textilindustrie von großer Bedeutung – allein in Bangladesch hängen zwei Drittel der Exporte mit der Textilindustrie zusammen. Deshalb haben unsere Partner auch kein Interesse daran, dass diese Industrie verschwindet. Sie sehen sicherlich die Problematik des Niedriglohnes, allerdings ist auch in anderen Bereichen nicht viel mehr zu verdienen. Beispielsweise fördern wir in Äthiopien Berufsschulen, die die arme Bevölkerung auch für die Arbeit in der Textilindustrie ausbilden. Aber es ist klar, dass die Arbeiterinnen dort nicht mehr als 30 Euro pro Monat verdienen können. Insofern sind auch unsere Partner in einem Dilemma, wie sie es bewerten sollen, dass eine Textilindustrie in ihrem Land investiert. Wir müssen alles daran setzen, dass mit diesen Investitionen auch menschenrechtliche Standards und eine Sorgfaltspflicht der Unternehmen einhergeht.

Frage: Misereor ist zum Beispiel Mitglied des vom Entwicklungsministerium eingeführten Textilbündnisses. Kritiker beklagen eine mangelnde Wirksamkeit. Warum bleibt Misereor dabei?

Wunden: Wir als Misereor sind beim Textilbündnis Mitglied, weil es ein breites Bündnis ist – das hat Vorteile, wenn man wirklich etwas verändern möchte. Zudem kümmert sich die Regierung gemeinsam mit der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) darum, dass es ein funktionierendes Bündnis ist. Darüber hinaus erwarten wir von der Bundesregierung aber auch Engagement in Bezug auf die Einführung gesetzlicher Sorgfaltspflichten. Darauf muss es hinauslaufen.

Frage: Bundesminister Müller hat ein neues Siegel für fair produzierte Kleidung angekündigt. Wie schätzen Sie das ein?

Wunden: Wir wissen noch nichts Genaueres. Bundesminister Müller will, dass mit dem Siegel verschiedene jetzt schon existierende Überprüfungsverfahren im Bereich der Rohfasern, der Verarbeitung des Textils, der Nutzung und des Transportes zusammengefasst werden. Uns ist aber noch nicht klar, was das zusätzlich für den Konsumenten oder die Textilindustrie heißen soll und für jene, die die Kleidung herstellen. Wenn es sich um ein zusätzliches Siegel ohne tatsächlichen Mehrwert handelt, wäre es wohl wirklich besser, sich eher um gesetzliche Bestimmungen zu kümmern, als ein erneutes freiwilliges Siegel auf den Markt zu bringen.

„Bei allem steht also die Frage im Hintergrund: Wer hat das für mich hergestellt?“

—  Zitat: Wilfried Wunden, Misereor-Referent für Fairen Handel

Frage: Gerade aus Verbrauchersicht ist es nach wie vor schwierig, sich im Bereich der Fairen Kleidung zurechtzufinden. Haben Sie ein paar praktische Tipps?

Wunden: Weniger kaufen und dafür höhere Qualität. Stark auf Second-Hand-Ware zurückgreifen. Die Kleidung gut pflegen, sodass man sie lange tragen kann. Im direkten Kauf gibt es große Fortschritte, es gibt bereits in jeder größeren Stadt ein gutes Angebot fairer Kleidung. Man sollte zudem darauf achten, dass Bio-Baumwolle genutzt wird.

Frage: Die Textilindustrie ist nur eine von vielen, in der es Ausbeutung und unökologische Arbeitsprozesse gibt. Man denke nur an die Elektroindustrie mit ihren Konfliktmineralien. Hinzu kommen immer neue Märkte, etwa die Elektroautos. Wie können wir aus diesem Kreislauf herauskommen?

Wunden: Ich denke, dass wir sehr viele Probleme mit technischer Innovation und Effizienz lösen können. In vielen Fällen kommen wir aber nicht umhin, bewusste Entscheidungen zu treffen, weniger zu konsumieren, insgesamt die Ansprüche herunterzuschrauben, wenn es um größere Mengen geht und insbesondere um die Verschwendung von Rohstoffen. Man sieht einem Handy ja nicht auf den ersten Blick an, dass da bis zu 53 Rohstoffe verarbeitet sind. Je mehr es verarbeitet wurde, desto anonymer wirkt es. Aber es hat immer jemand das Material aus dem Boden geholt, geerntet, verarbeitet und uns zum Konsum hergestellt. Bei allem steht also die Frage im Hintergrund: Wer hat das für mich hergestellt? Wenn wir diese Verbindung verlieren, verlieren wir auch den Blick für einen angemessenen Konsum.

Das Interview führte Claudia Zeisel

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