In guten wie in schlechten Zeiten

In guten wie in schlechten Zeiten

Bistümer ‐ Die Partnerschaft zwischen dem Bistum Limburg und dem Bistum Kumbo in Kamerun besteht seit 1987. Sie lebt durch den Austausch von Freiwilligen, Gemeindepartnerschaften und persönlichen Kontakten und Begegnungen. Seit Ende 2016 spitzen sich die sozialen Spannungen zwischen dem anglophonen Westen und der französisch sprachigen Zentralregierung in Yaoundé stetig zu. Ende April reiste eine Delegation des Bistums in die Region. Dr. Hildegard Wustmans, Dezernentin Pastorale Dienste, Barbara Reutelsterz, Referentin für Internationale Freiwilligendienste und Winfried Montz, Leiter der Abteilung Weltkirche berichten im Interview von ihren Eindrücken.

Erstellt: 28.05.2018
Aktualisiert: 29.05.2018
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Die Partnerschaft zwischen dem Bistum Limburg und dem Bistum Kumbo in Kamerun besteht seit 1987. Sie lebt durch den Austausch von Freiwilligen, Gemeindepartnerschaften und persönlichen Kontakten und Begegnungen. Seit Ende 2016 spitzen sich die sozialen Spannungen zwischen dem anglophonen Westen und der französisch sprachigen Zentralregierung in Yaoundé stetig zu. Ende April reiste eine Delegation des Bistums in die Region. Dr. Hildegard Wustmans, Dezernentin Pastorale Dienste, Barbara Reutelsterz, Referentin für Internationale Freiwilligendienste und Winfried Montz, Leiter der Abteilung Weltkirche berichten im Interview von ihren Eindrücken.

Frage: Ein Dialogpartner könnte die katholische Kirche sein. Welche Rolle spielt sie im aktuellen Konflikt?

Wustmans: Im besten Fall wäre die katholische Kirche die dritte Kraft, also die, die zu Dialog und Moderation einlädt und fähig ist. Die kamerunische katholische Kirche vertritt mit mehr als einem Drittel einen großen Anteil der Bevölkerung. Diese ist sowohl im frankophonen wie im anglophonen Teil verortet. Lange Zeit hat sich auch der frankophone Teil der Bischöfe selbst schwer getan, die Krise anzuerkennen. Aus diesem Grund haben die anglophonen Bischöfe ein Memorandum verfasst. Inzwischen ist unter den Bischöfen anerkannt, dass diese anglophone Krise im Grunde eine Krise für Kamerun ist. Die katholische Kirche hätte das Potenzial, eine Rolle zu spielen, ist aber im Moment erst auf dem Weg, sich auf eine Position hin zu verständigen.

Montz: Ein Beispiel, das wir leider hautnah miterleben mussten war, wie versucht wird, die katholische Kirche in das eine oder andere Lager des Konfliktes hineinzuziehen. Wir mussten miterleben wie der Erzbischof von Bamenda erfährt, dass der Leiter einer katholischen Schule während eines Schulgottesdienstes von Widerstandskräften gewaltsam entführt wurde, mit dem Ziel der Regierung und auch dem Vatikan ein Gewaltende abzutrotzen. Es ging um das Leben dieses Priesters und man sieht, wie die Kirche, die einen Schulbetrieb unterhält, auf einmal dem Regierungslager zugeschrieben wird und von Separatistenseite mit Kidnapping und Erpressung provokant in das andere Lager gezerrt wird. Die Kirche wird bewusst hineingezogen und muss sich verhalten. In Deutschland übernehmen Spezialeinheiten in einem solchen Fall, hier war das die Aufgabe des betagten Erzbischofs mit all seiner Weisheit und Intuition. Er war auf sich alleine gestellt. In solch einer Situation auch noch aus eigener Kraft eine Vermittlungsposition auf nationaler Ebene zu entwickeln und profund zu installieren, ist fast eine Überforderung. Hier braucht es internationale Unterstützung, die die Kirche auch befähigt und ihr den Rücken stärkt, damit sie eine solche Rolle, die sicher denkbar ist, auch ausführen kann. 

Wustmans: Wir haben in vielen Gesprächen gehört, dass zunächst einmal unklar ist, wer denn alles an einen Tisch zu holen ist, wenn es um einen Friedensdialog gehen soll. Relativ eindeutig sind die Adressaten des Militärs und der Regierung zu identifizieren. Wer auf der anderen Seite für die Separatisten als Gesprächspartner zu benennen wäre, ist gar nicht so eindeutig. 

Und wir haben erfahren, dass die Menschen in der Region ein großes Bedürfnis haben zu berichten. Egal ob es jetzt die Gespräche mit Erzbischof und Bischöfen, mit Menschen in zerstörten Häusern oder mit Schülerinnen waren, die Menschen kommen immer sofort auf ihre Situation zu sprechen. Dann sprechen Sie schier ohne Punkt und Komma. Es gibt ein außerordentliches Bedürfnis das zu besprechen und damit auch zu verarbeiten und dies gerade auch mit Personen, die von außen kommen. 

Reutelsterz: Ich habe enormen Respekt vor der Leistung der Kirchen und was den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der Kirche abverlangt wird. Der Hauptfokus der kirchlichen Aktivitäten liegt auf „the needs of the people“, so habe ich immer wieder gehört, also sich den Nöten der Menschen zuzuwenden und zu erkennen, da hinzuschauen und da aktiv zu sein. Ich habe aber auch erlebt, dass die Kirche ein enorm hohes Risiko hat, ihre neutrale Rolle beizubehalten. Sie ist die Institution, der überwiegend vertraut wird. Dieses Vertrauen zu verspielen, dieses Risiko, ist enorm hoch und das macht einen extremen Druck. Da habe ich größten Respekt vor.

Wustmans: Und dieser Druck äußert sich eben auch in der Bitte: helft uns von außen, weil wir mit dieser Situation gegenwärtig überfordert sind.

Frage: Das Auswärtige Amt hat jüngst die Reisewarnung in die Region des Bistums Kumbo in Kamerun noch einmal verschärft. Sie haben sich ganz bewusst dafür entschieden, gerade jetzt zu den Partnern zu reisen. Gab es dafür einen konkreten Anlass und was waren Ihre Beweggründe?

Wustmans: Der konkrete Anlass liegt darin, dass junge Erwachsene aus dem Bistum Limburg, die dort ihren internationalen Freiwilligendienst leisteten, kurzfristig aufgefordert worden waren, die Region zu verlassen. Das ist dann auch innerhalb weniger Wochen geschehen. Insgesamt hat das zu großen Irritationen und Enttäuschungen auf beiden Seiten geführt. Auf Seiten der Freiwilligen, die sich einfach gut beheimatet fühlten und in Vorbereitung für den Diözesan Weltjugendtag befanden und kurzfristig alle Freunde, Kontakte verlassen mussten. Und auf Seiten derer, die sie da verlassen mussten. In dieser Phase erreichten uns Reaktionen aus der Diözese Kumbo: wir verstehen gar nicht was da gerade passiert, wir würden für die Sicherheit natürlich Sorge tragen und wir haben den Eindruck, gegenwärtig verlässt uns sozusagen auch ein wichtiger Teil einer Öffentlichkeit.

Frage: Aber es gab triftige Gründe dafür?

Wustmans: Ja, die gab es. Im Rahmen eines Friedensgottesdienstes, den wir in der Diözese Kumbo gefeiert haben, hat Bischof George Nkuo ausgedrückt, dass er mit Bedauern sagen muss, dass es eine richtige Entscheidung war. Nichtsdestotrotz hat diese Entscheidung zunächst einmal geschmerzt, für Verunsicherung und Verwirrung gesorgt. Unser Reiseanliegen war es, in dieser Situation der Partnerdiözese und den Menschen in dieser Region Aufmerksamkeit und Solidarität entgegenzubringen und deutlich zu machen, dass diese Partnerschaft nicht nur eine ist, die in guten Zeiten, sondern ebenso in einer echten Krisensituation Bestand hat.

Reutelsterz: Mir war es wichtig, das vor Ort durch eine physische Präsenz wirklich zu zeigen, ein Gegensignal zu setzen und das zum Ausdruck zu bringen, was wir im Partnerschaftsgebet auch gemeinsam beten: Close to and available for each other (Nah beieinander und füreinander da).

Montz: Wenn man auf das anglophone Kamerun schaut, ist das im Moment ein in der Tat sicherheitsgefährdetes Gebiet. Das hängt mit der Konfliktlage vor Ort zusammen und insofern ist die Warnung des Auswärtigen Amtes, nicht dorthin zu reisen, begründet und berechtigt. Wir müssen aber auch sagen, dass hinsichtlich unserer Freiwilligen, unsere Partner einen exzellenten Sicherheitsschutz gewährleistet haben und sich auch unsere beiden jungen Frauen, die dort Dienst taten, hervorragend an den Verhaltenskodex gehalten haben, der ihnen oblag, um in dieser besonderen Situation ihren Dienst überhaupt verrichten zu können. Dass die Sicherheitslage, in der Attentate passieren, auch Menschenleben gefährdet sind, Einheimische inhaftiert und verschleppt werden, besondere Rahmenbedingungen sind, steht außer Frage. Natürlich fordert dies eine besondere psychische und soziale Stabilität und gleichzeitig auch ein Risiko. Dem muss man mit Verantwortung begegnen. 

Bild: © Bistum Limburg

Frage: Sie sind nun dorthin gereist, wo andere aus Sicherheitsgründen ausgereist sind. Was für Emotionen hat das in Ihnen ausgelöst?

Wustmans: Ich habe mich nicht in einem wesentlichen Maß unsicher gefühlt und dies aus mehreren Gründen: wir sind nicht als Touristen gereist, sondern immer im Schutz der Kirche. Wir waren mit Einheimischen unterwegs, die sich immer sehr vorausblickend und achtsam mit der Situation auseinandergesetzt haben und kritisch geprüft haben, wie die Situation gegenwärtig vor Ort aussieht. Aber natürlich ist es eine besondere Situation, wenn man um eine nächtliche Ausgangssperre weiß oder man in der Nacht von Gewehrsalven erschreckt wird oder an Soldaten vorbeifahren muss, die auf ihren Posten mit Gewehr im Anschlag ihren Dienst versehen.

Frage: Wie gehen die Einheimischen mit dieser für sie permanent existierenden Gefahrenlage um?

Reutelsterz: Wir sind vielen Menschen begegnet, die total verängstigt sind, die völlig fassungslos sind, wie sich ihre Realität verändert hat, die unter einem hohen Vertrauensverlust leiden und total verunsichert sind und die mit viel, viel Sorge auf ihre Realität und auf die Zukunft blicken.

Montz: Die Verunsicherung und Ungewissheit was denn eigentlich im nächsten Moment passieren kann, haben wir auf allen Ebenen gemerkt. Wir waren in Dörfern, wir haben mit Flüchtlingen gesprochen, wir haben Menschen getroffen, denen die Häuser angezündet wurden. Da ist natürlich eine pure Verängstigung und Verunsicherung. Wer ist denn noch für mich da? Wer steht denn zu mir? Wenn in Konflikten von beiden Seiten Anschläge verübt werden, ist das eine hohe Verunsicherung. Wem kann ich eigentlich vertrauen? 

Wustmans: Es geht eigentlich um mehr als um Verunsicherung. Wir haben, so würde ich es formulieren, verängstigte Menschen gesehen, die eben dann, wenn es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen kommt, erst einmal Schutz suchen müssen, um sich aus einer akuten Gefahrensituation zu retten. Das stresst permanent und macht Angst. Die Angst macht den Alltag so schwer.

Frage: Eine Frage, die bei Ihnen ankam war: Wieso hört uns niemand? Ein Gefühl des Verlassen-Seins?

Montz: Ja, das ist die Erfahrung, dass nicht erlebt wird, dass jemand diese Situation wahrnimmt. Es ist keine Veränderung in der Entwicklung zum Positiven erkennbar. Die Menschen sagen: die Verfassung garantiert unseren Schulbesuch, unser Schulsystem, unser Rechtssystem. Wir werden als delinquente Menschen behandelt. Gleichzeitig wird aber nicht erlebt, dass in dieser Krise, die schon jetzt viel zu viele Blutopfer gekostet hat, irgendjemand von der internationalen Gemeinschaft auf den Plan tritt. Wir haben lediglich in der Provinzhauptstadt Bamenda gehört, dass zwei Botschafter im letzten halben Jahr einmal zugegen waren, aber nicht in den anderen beiden Bistümern, die wir bereist haben. Vor Ort wird nicht erkennbar wer denn überhaupt etwas mitbekommt und sich dem widmet, was an Ereignissen vor Ort passiert. 

Bild: © Bistum Limburg

Wustmans: Ein wesentlicher Punkt ist, dass es ein Negieren dieses Konflikts durch die Regierung gibt und, dass Botschaftsangehörige nur mit Erlaubnis der Regierung in bestimmte Regionen hineinreisen dürfen. Das ist ein Problem. Wir hatten als kleine kirchliche Gruppe die Möglichkeit, an Orte zu fahren und mit Menschen in Kontakt zu kommen, die es für andere so möglicherweise gar nicht gibt.

Reutelsterz: Mir sind sehr viele einzelne Begegnungen und Gespräche sehr nahe gegangen. Ein Mann, zum Beispiel, der sich um die Geflüchteten, die im Busch verharren, kümmert und sich zur Aufgabe gemacht hat, sie mit Nahrung zu versorgen – unter Einsatz seines eigenen Lebens sich selbst in Gefahr begebend. Oder eine junge Mutter, die mit ihrem Kleinkind urplötzlich in eine Situation hinein gerät, die sehr verängstigend ist, in der ihr Menschen entgegen rennen und sie Schüsse hört und sie sich mit ihrer kleinen Tochter einfach in ein fremdes Haus verschanzen muss und die auch in der Nachwirkung dieses Erlebnisses erst mal alleine damit fertig werden muss und keinerlei Unterstützung von außen erfährt. Das sind solche persönlichen Ereignisse, die wir geschildert bekommen haben von Menschen, die wir teilweise gut kennen. Das macht es so nah und es macht betroffen. Ich kann dieses Gefühl des allein gelassen Seins gut nachvollziehen. 

Frage: Warum eskaliert der Konflikt gerade jetzt?

Montz: In der historischen Entwicklung, in der eine Föderation noch die Rechte im Bereich Schulwesen, Rechtsprechung und Administration gewährleistet hat, ist eine schleichende Veränderung hinsichtlich der Anpassung an das frankophone System, die von der Zentralregierung betrieben wird, erfolgt und dann hat es einen Tropfen gegeben, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Im Herbst 2016, als durch Personalbesetzungen im Schulbereich und im Bereich der Rechtsprechung der Gerichte Proteste entstanden sind, die nicht gehört wurden, war das erste Todesopfer am 8. Dezember 2016 zu beklagen. Es hat in der anglophonen Region ein sogenanntes interministerielles Treffen der Ministerien, Elternvertreter, Vertreter der Protestbewegung gegeben, was nach Schilderung des Erzbischofs von Bamenda sehr moderat verlief. Aber auf dem Nachhauseweg von diesem Treffen wurden alle kritischen Stimmen inhaftiert und verschleppt. Das ist der Punkt gewesen, wo die Protestbewegung, die zunächst friedlich agierte, umschlug in einen Widerstand und der sich immer stärkere, immer grausamere Methoden ausdenkt, um überhaupt zu Gehör zu kommen. Die Opfer dieser immer grausameren Methoden sind letztlich die Zivilbevölkerung im anglophonen Teil, die die Ziele des Widerstandes teilen, aber nicht diese Form der politischen Durchsetzung oder eines Unregierbarmachens des englischsprachigen Bereich von Kamerun.

Wustmans: Zwei weitere Dinge sind hinzuzufügen, warum das jetzt so eskaliert. Im Herbst sind Wahlen in Kamerun. Erstens ist davon auszugehen, dass die Situation weiter eskaliert, wenn es z.B. ums Eintragen ins Wahlregister geht. Gerade Separatisten werden es so deuten, dass dies eine Zustimmung für die Regierung und den Präsidenten Paul Bija ist. Zweitens ist völlig klar, dass der jetzige Präsident auch der nächste Präsident sein will und er augenscheinlich überhaupt kein Interesse daran hat, diesen Konflikt zuzugeben und in einer entsprechenden Weise darauf zu reagieren. Zudem denke ich, dass in dieser unsicheren Situation im Nordwesten die Exil-Kameruner von Bedeutung sind. Es liegt der Gedanke nahe, dass ein Teil von ihnen dezidiert für die Utopie eines separaten, eigenen Staates Ambazonien eintritt. So wurde uns glaubhaft mitgeteilt, dass diese Gruppe den Widerstand mit Geld und mit Waffen unterstützt.

Reutelsterz: Der Konflikt hat leider inzwischen ein Level erreicht, wo die Gewaltspirale immer schneller und immer dichter nach oben wirbelt. Trotzdem wurde uns immer wieder gesagt: Wir hoffen auf Dialog, wir hoffen dass es noch nicht zu spät ist und je mehr Zeit verstreicht, umso komplexer und schwieriger wird es natürlich. Und dennoch: wir geben die Hoffnung nicht auf.

Das vollständige Interview finden Sie auf der Homepage der Abteilung Weltkirche des Bistums Limburg.

© Abteilung Weltkirche Bistum Limburg