Burundis Krisen im 20. Jahrhundert sind noch nicht ausgestanden

Burundis Krisen im 20. Jahrhundert sind noch nicht ausgestanden

Konflikte ‐ Staatskrisen und ethnische Spannungen haben Burundi geprägt. Die anstehenden Wahlen werfen ein Schlaglicht auf die Probleme des ostafrikanischen Landes - deren Wurzeln schon weit vor dem Genozid in Ruanda 1994 liegen.

Erstellt: 17.05.2020
Aktualisiert: 13.05.2020
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Staatskrisen und ethnische Spannungen haben Burundi geprägt. Die anstehenden Wahlen werfen ein Schlaglicht auf die Probleme des ostafrikanischen Landes - deren Wurzeln schon weit vor dem Genozid in Ruanda 1994 liegen.

Es ist schön in Burundi, dem kleinen fruchtbaren Hügelland im Osten Afrikas. Die rote Erde, die fröhlichen Menschen könnten den Betrachter einlullen in ein vermeintliches Idyll  wüsste man nicht um die Riesenprobleme: dramatische Überbevölkerung, bitterste Armut, Flüchtlingselend, Bildungsnotstand, ethnische Dauerfehden, Rechtlosigkeit und Rachegefühle.

1962 beschloss die UNO, Ruanda und Burundi als separate Nachfolgestaaten des einst deutschen (Deutsch-Ostafrika, 1890-1916) und danach belgischen Mandatsgebietes Ruanda-Urundi in die Unabhängigkeit zu entlassen. Da waren die ethnischen Spannungen zwischen Hutu und Tutsi schon im Gange. Noch am Tag der staatlichen Unabhängigkeit zerbrach die burundische Regierungspartei in jene beiden Lager, die dem Land zum Schicksal werden sollten: gemäßigte prowestliche Tutsi und Hutu einerseits und radikale Tutsi andererseits.

Ende 1966 putschte das Militär unter General Michel Micombero gegen den erst 18-jährigen König Ntare V. Micombero und rief die Republik aus. Doch nicht Demokratie strebte der Tutsi-Nationalist an, sondern eine Beseitigung aller Hutu aus der Spitze von Verwaltung, Armee und Polizei.

Die Lage eskalierte, als der entmachtete König Ntare V. im März 1972 aus dem Exil zurückkehrte. Seine Motive sind unklar; jedenfalls wurde er verhaftet. Es folgten Massenverhaftungen von Hutu, die in einen Aufstand mündeten. Micombero behielt im sich entfesselnden Bürgerkrieg die Oberhand und ließ den König ermorden.

Im Laufe des Jahres 1972 tötete das Militär in Burundi geschätzt 100.000 bis 250.000 Hutu, weitgehend unbeachtet von der westlichen Öffentlichkeit. Die gesamte Bildungs- und politische Elite der Hutu war tot oder geflohen. Micombero hielt sich noch bis 1976 - dann wurde er auch er von Obristen weggeputscht. Im benachbarten Ruanda waren die ethnischen Verhältnisse umgekehrt, die Frontstellungen aber dieselben: zwei rivalisierende Volksgruppen, zusätzlich verstrickt in Stellvertreterkonflikte des Kalten Krieges.

Auch die sogenannte erste Republik in Ruanda (1962-1973) wurde von Mordwellen an Tutsi, Flucht und Vertreibung geprägt. Viele Tutsi lebten über Jahrzehnte in Nachbarländern. Im Gedächtnis der Hutu in Ruanda blieb das Tutsi-Massaker von 1972 an den Hutu im Nachbarland Burundi als Fanal haften. Als dann Exil-Ruander Anfang der 90er Jahre den Norden des Landes angriffen, um die Rückkehr von Tutsi-Flüchtlingen zu ermöglichen, sahen radikale Hutu ihre Stunde der Rache gekommen.

Nach dem Abschuss der Präsidentenmaschine über der Hauptstadt Kigali im April 1994 wurde über vereinbarte Signale im Rundfunk das Monster entfesselt. Der Völkermord in Ruanda mit bis zu 800.000 Toten  zumeist Tutsi und gemäßigte Hutu  zählt zu den größten Schrecken des 20. Jahrhunderts.

In Burundi wurde 2005 in der ersten freien Wahl überhaupt Pierre Nkurunziza, ein früherer Rebellenführer, zum Präsidenten gewählt. Über Jahre hielt der Hutu das Land auf einem leidlich stabilen Kurs  regierte dabei aber zunehmend autoritär. Bei den Wahlen am Mittwoch (20. Mai) tritt der 56-Jährige nun offiziell ab – doch im Hintergrund wird er die Fäden weiter in der Hand halten.

Knappe Ackerfläche

Burundis Erde ist sehr fruchtbar, aber schlicht zu knapp. Fast die Hälfte der Bevölkerung ist unter 15 Jahre alt; das Durchschnittsalter liegt bei spektakulären 16,7 Jahren. Durch den rasanten Bevölkerungszuwachs von drei Prozent jährlich werden die Ackerflächen noch kleiner. Wilde Abholzung sorgt für Erosion, die Äcker und Straßen zerstört. 2019 lag Burundi im Human Development Index auf Platz 185 - von 189 Ländern.
2007 wurden alle 400.000 Bürgerkriegsflüchtlinge aus dem benachbarten Tansania zurückgeschickt; eine zusätzliche Belastungsprobe. Die Rückkehrer erhielten kaum Eingliederungshilfen. Ihre Äcker bearbeiteten nun freilich andere; Grundbücher gibt es nicht.

Trotz der Produktion von Maniok, Mais, Bananen und Süßkartoffeln rangiert das Land bei der Nahrungsmittelversorgung auf den hinteren Rängen. Burundi hat weder nennenswerte Industrie noch einen Dienstleistungssektor. Zwar gibt es etwa große Nickel-Vorkommen. Doch hat das Land nicht die Mittel, die Investitionen zum Abbau selbst aufzubringen.

Weitere gravierende Probleme sind Bildung und Gesundheit. Zwar engagiert sich die katholische Kirche, der rund zwei Drittel der Burundier angehören, stark im Schulwesen. Ihre Schulen, Kindergärten und Wohlfahrtseinrichtungen gehören zum wenigen Verlässlichen im Land.
Besonders bizarr: Echte Sicherheit, wer Hutu ist und wer Tutsi, kann es in Burundi gar nicht geben. Die gängigen Zahlen, nach denen 85 Prozent der Bevölkerung Hutu und 14 Prozent Tutsi seien, stammen noch aus der belgischen Kolonialzeit. Zudem basiert jede solche Zählung auf einer Fiktion: der Vererbung der Ethnie durch den Vater. Mit leichtfertiger Rhetorik um seine verfassungswidrige Wiederwahl 2015 riskierte der Hutu Nkurunziza einen neuerlichen Bürgerkrieg. Die Geburtsfehler der „Nation“ Burundi sind allzu leicht zu triggern.

Von Alexander Brüggemann (KNA)

© Text: KNA