Seit vier Jahrzehnten an der Seite von Flüchtlingen
Orden ‐ Heute wie damals kamen sie in Booten und stießen auf Widerstand: Bootsflüchtlinge waren der Grund, warum 1980 der Jesuiten-Flüchtlingsdienst gegründet wurde. Seit 40 Jahren verhilft er Flüchtlingen zu einer Stimme.
Aktualisiert: 13.11.2020
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Heute wie damals kamen sie in Booten und stießen auf Widerstand: Bootsflüchtlinge waren der Grund, warum 1980 der Jesuiten-Flüchtlingsdienst gegründet wurde. Seit 40 Jahren verhilft er Flüchtlingen zu einer Stimme.
Mit Bootsflüchtlingen fing es an. Zu Hunderttausenden kamen sie aus Südvietnam, damals, nach dem Ende des Vietnamkriegs 1975. In überfüllten Booten überquerten sie das Südchinesische Meer. Viele von ihnen kamen nicht an. Pedro Arrupe, spanischer Ordensgeistlicher und damals der Generalobere der Jesuiten, sah ihr Leid. Er rief seine Mitbrüder auf, „wenigstens eine gewisse Erleichterung für solch eine tragische Situation zu bringen“. Vor 40 Jahren, am 14. November 1980, entstand daraus der Jesuitenflüchtlingsdienst (Jesuit Refugee Service, JRS).
„Bei den Flüchtlingen sein“ lautet seither das Motto im Kampf gegen Abschiebungen, für eine bessere Willkommenspolitik und das Kirchenasyl. Im März 2000, fast 20 Jahre nach seiner Gründung, wurde der Flüchtlingsdienst offiziell im Vatikan als Stiftung registriert.
811.884 Menschen in 56 Ländern – so lautet die stolze Hilfsbilanz des JRS für 2019; ein Jahr, in dem die Zahl der Vertriebenen um 13 Prozent auf knapp 80 Millionen stieg. Binnenvertriebene machen mit fast 51 Millionen Menschen den größten Teil der Flüchtlinge aus, und niemals war ihre Zahl so groß, mahnte der JRS zuletzt. Krisen wie die Explosion in Beirut und die Covid-19-Pandemie sind Quelle für neue viele Vertriebene in 2020.
#InvisibleCitizens, unsichtbare Bürger, heißt eine der aktuellen JRS-Kampagnen zu ihrem Schutz. Viele Binnenflüchtlinge seien unsichtbar, kritisierte JRS-Anwältin Amaya Valcarcel unlängst. Ihre Rechte und Bedürfnisse würden meist ignoriert, es fehle an Menschen, die sich für sie einsetzen. Neue Leitlinien des Vatikan zum pastoralen Umgang mit Binnenflüchtlingen von Mai seien ein wertvoller Beitrag, um dies zu ändern.
Würde, Solidarität, Beteiligung, Mitgefühl, Gastfreundschaft, Hoffnung und Gerechtigkeit: Dies sind die Werte, die der JRS als Grundlage seiner Arbeit definiert. Basierend auf dem Glauben an Gott werde mit jedem Vertriebenen gearbeitet, unabhängig von Herkunft, Geschlecht, Religion oder Politik. Die Solidarität gelte Menschen aus verschiedenen Kulturen, Nationalitäten und Religionen. Dabei setze man auf Transparenz und Partnerschaft. Vor allem aber wolle man Flüchtlingen ermöglichen, „Menschen mit einer eigenen Stimme“ zu werden.
Umgesetzt werden soll die Vision des JRS in pastoralen und psychosozialen Unterstützungsprogrammen in Gefängnissen und Flüchtlingslagern, durch humanitäre Hilfe und Bildungsprogramme. Wo nötig, erhebe man die Stimme für die Rechte von Flüchtlingen sowie für den „Schutz der Schwächsten unter uns“. Die Begleitung, die den Flüchtlingen angeboten werde, ist laut JRS ein „Zeichen der Hoffnung und ein Weg hin zur Heilung“, die den Betroffenen versichere, dass die Welt sie nicht vergessen habe.
Mehr noch als in der konkreten Nothilfe liegt das Herzstück der Arbeit mit Flüchtlingen für Daniel Corru, Kommunikationsbeauftragter der Region Nahost-Nordafrika, in der konkreten Beziehung zu dem jeweiligen Individuum. „Es ist die Essenz der Menschwerdung, dass Gott die Welt so geliebt hat. Gott wollte eins mit uns sein. Und so besteht unsere größte Freiheit darin, in einer radikalen Beziehung zu anderen zu stehen.“ Ein Beispiel hierfür lässt sich im Grenzgebiet zwischen Venezuela und Kolumbien finden, wo die Unterstützung des Jesuiten-Flüchtlingsdienstes Binnen- und Wirtschaftsflüchtlingen zu Gute kommt, ebenso wie politisch Verfolgten, die ihr Land verlassen müssen.
Radikal ist oft auch das Einstehen für die Nöte von Geflohenen und Vertriebenen. Kapitäne müssen sich bisweilen rechtfertigen, wenn sie Flüchtlinge retten. Schnell ist von „Beihilfe zu illegaler Einwanderung“ die Rede, wie im Fall der deutschen Kapitänin Carola Rackete. Der Vorwurf, seit Gründungszeiten des JRS unverändert: Mit dieser Hilfe würden die Menschen erst recht ermutigt, den gefährlichen Fluchtweg über ein Meer zu wählen. Anders als nach dem Vietnamkrieg liegen die heute größten Konfliktzonen im Mittelmeerraum – und damit vor der Haustür Europas.
In Deutschland engagiert sich der JRS seit 1995 für Abschiebungshäftlinge sowie für Menschen mit unsicherem oder ohne Aufenthaltsstatus. Europa, auch Deutschland, stehe mitunter „hilflos vor dem Drama“, sagt Peter Balleis, seit 2014 Direktor des JRS. Eine wesentliche Aufgabe sah er während seiner Amtszeit darin, den Menschen die Skepsis gegenüber Flüchtlingen zu nehmen. Die „Mauer um Europa“, so der Jesuit, sollte nicht höher werden. Vielmehr sage es Positives aus, dass Menschen hier Schutz suchten: Von Europa erwarteten sie die Einhaltung von Menschenrechten und hofften auf Frieden.
Gerade diese Menschenrechte sei Europa dabei aufzugeben, kritisierte der amtierende Leiter des JRS in Deutschland, Claus Pfuff, im Blick auf die Strafverfolgung von Seenotrettern. Dabei dürfe sich ein Europa, das seine eigenen Werte ernst nehme, nicht davonstehlen. Pfuff fordert Orte der Begegnung und des Austausches. Gerade hier komme den Helfern eine wichtige Rolle zu, betont der Jesuit. „Um Mauern niederzureißen, sowohl innere im Kopf oder Herz als auch äußere“, seien Menschen erforderlich, „die begegnungsfähig sind und die Erfahrung von gegenseitiger Bereicherung gemacht haben“.
Von Andrea Krogmann (KNA)
© Text: KNA