Das Heilige Land blutet wirtschaftlich, politisch und religiös
Naher Osten ‐ 2020 war, von einigen Lichtblicken abgesehen, ein schwieriges Jahr für das Heilige Land. Das Coronavirus hat einen großen Anteil daran, aber auch die politische Lage ist alles andere als entspannt.
Aktualisiert: 02.12.2020
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2020 war, von einigen Lichtblicken abgesehen, ein schwieriges Jahr für das Heilige Land. Das Coronavirus hat einen großen Anteil daran, aber auch die politische Lage ist alles andere als entspannt.
„Am schmerzhaftesten ist die Unsicherheit: Sie macht jede Planung unmöglich.“ Die Worte des frischernannten Lateinischen Patriarchen von Jerusalem, Erzbischof Pierbattista Pizzaballa, fassen das Jahr 2020 treffend zusammen: Im Heiligen Land weiß keiner so recht, wie es im kommenden Jahr weitergeht.
Dabei fing das Jahr gut an. Nach dem Allzeitrekord von 4,5 Millionen Touristen in 2019 stiegen die Zahlen im Februar um ein weiteres halbes Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat. Auch aus katholischer Sicht gab es durchaus Erfreuliches zu berichten. Auf umgerechnet rund 88 Millionen Euro beliefen sich die Schulden des Patriarchats noch zu Jahresbeginn. Maßgeblich waren es Altlasten der vom früheren Patriarchen Fouad Twal eingerichteten Amerikanischen Universität Madaba (Jordanien). Bis Oktober war es Pizzaballa noch als Übergangsleiter durch harte Maßnahmen gelungen, die Schuldenlast um knapp 60 Prozent zu reduzieren.
Auch die Ernennung Pizzaballas als Twals Nachfolger im Patriarchenamt war eine gute Nachricht für die Christen im Heiligen Land. Sie beendete eine Übergangszeit mit einem Kandidaten, der nach 30 Jahren im Heiligen Land als Garant einer gewissen Stabilität und Ortskenntnis gelten darf.
Doch trotz lichter Momente bleibt ein düsterer Gesamteindruck von 2020. Das Heilige Land blutet wirtschaftlich, politisch und religiös. Das Virus mit dem Namen Corona, vielmehr: die strikten Maßnahmen zu seiner Eindämmung, haben den massiv von Tourismus und Pilgerwesen geprägten Alltag im Heiligen Land schlagartig erschwert. Nicht nur wirtschaftlich hat Covid-19 die Menschen und unter ihnen viele Christen hart getroffen. Der liturgische Ausfall der Fasten- und Osterzeit für die allermeisten Gläubigen hat die Kirche verwundet, sagte Pizzaballa der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) im Interview zu seinem Amtsantritt.
In der Weihnachtszeit droht diese Wunde wieder aufzureißen: Während sich in Israel die Zahlen langsam auf eine dritte Covid-19-Welle zubewegen, verzeichneten die palästinensischen Gebiete mit Beginn des Dezembers die höchsten Neuinfektionsraten seit Beginn der Pandemie im März. Ausfallen werde Weihnachten nicht, sagen der neue Patriarch wie auch der Bürgermeister von Bethlehem. Wie genau die Einschränkungen für die Feiertage aussehen werden, soll in Kürze entschieden werden. Dass sie schmerzhaft werden, scheint unterdessen unvermeidlich.
Doch nicht an allem Übel in 2020 hat Covid-19 Schuld. Der politische Stillstand wurde durch die Pandemie bestenfalls zementiert, was einigen Akteuren durchaus gelegen gekommen sein dürfte. Am 2. März haben die Israelis ein neues Parlament gewählt, das dritte binnen weniger als eines Jahres. Zehn Covid-19-Infizierte zählte das Land am Wahltag, erste Einschränkungen galten bereits.
Die Regierungsbildung zog sich bis spät in den April – und endete in einer durch Streit und Spannungen geprägten Einheitsregierung unter dem alten und neuen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu und seinem Hauptkonkurrenten Benny Gantz als alternierendem Ministerpräsidenten. Die Zahl der Coronavirus-Opfer lag da bei rund 13.700 Erkrankten und 177 Toten, der erste Lockdown steuerte auf erste Lockerungen zu.
Inzwischen ist der zweite Lockdown Geschichte. Dies könnte in Kürze auch für die 23. Knesset gelten. Mittlerweile streben selbst Koalitionspartner eine Auflösung des Parlaments an. Eine Zustimmung durch Gantz' blau-weißes Bündnis gilt nicht mehr als ausgeschlossen, sollte keine Einigung über den immer noch nicht verabschiedeten Staatshaushalt 2020 und 2021 erzielt werden.
Erneute vorgezogene Neuwahlen sind damit in greifbare Nähe gerückt. Ob dies den Zehntausenden, die allwöchentlich gegen den wegen Korruption, Betrug, Untreue und Bestechlichkeit angeklagten Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu, seine Corona-Politik und die im Land herrschenden Missstände demonstrieren, genügt, darf bezweifelt werden.
Von Zufriedenheit weit entfernt ist auch die palästinensische Seite. Die jüngste Annäherung zwischen Israel und arabischen Staaten zeigt ein sich veränderndes Gleichgewicht in Nahost – und führt den Palästinensern den Bedeutungsverlust ihrer Sache in der arabischen Welt deutlich vor Augen. Neu ist diese Isolierung der Palästinenser vielleicht nicht, aber selten war sie so sichtbar.
Wie es sich mit der veränderten Nahost-Realität langfristig verhalten wird, ist ähnlich unsicher wie die Corona-bedingte allgemeine Lage in Nahost. Klar scheint zunächst nur, dass sich weder das Virus noch der israelisch-palästinensische Konflikt in Luft auflösen werden.
Von Andrea Krogmann (KNA)
© Text: KNA