Opfer von Bergbaukatastrophe in Brasilien wollen Gerechtigkeit

Opfer von Bergbaukatastrophe in Brasilien wollen Gerechtigkeit

Unglück ‐ Zwei Jahre nach dem Bruch eines Abraumbeckens in Südbrasilien verlangen die Opferfamilien eine Bestrafung der Verantwortlichen. Anstelle der brasilianischen Gerichte vertrauen sie nun auf die deutsche Justiz.

Erstellt: 25.01.2021
Aktualisiert: 26.01.2021
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Zwei Jahre nach dem Bruch eines Abraumbeckens in Südbrasilien verlangen die Opferfamilien eine Bestrafung der Verantwortlichen. Anstelle der brasilianischen Gerichte vertrauen sie nun auf die deutsche Justiz.

Der Ausnahmezustand ist in Brumadinho längst zum Normalzustand geworden. Rund um das Städtchen im Süden Brasiliens wird weiter gebaggert, LKWs transportieren die rote Erde ab. Als das Abraumbecken der Eisenerzmine Corrego do Feijao am 25. Januar 2019 brach, ergossen sich 13 Millionen Kubikmeter Schlamm durch das Tal. Im ersten Jahr nach dem Unglück konnten 259 Leichen geborgen werden, seit einem Jahr finden die Suchtrupps niemanden mehr. Aber immer noch werden elf Personen vermisst.

Für deren Angehörige sei es noch viel schlimmer, sagt Nayara Cristina von der Organisation der Opferfamilien Avabrum der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). „Ich sehe Eltern, die zugrunde gehen, aber nicht sterben wollen, bevor sie ihre Kinder nicht beerdigt haben.“ Nayara konnte ihren Ehemann beerdigen, „Gott sei Dank“. Er hatte bei dem Bergbauunternehmen Vale gearbeitet, einem der weltweiten Branchenführer, der die Eisenerzmine betrieb.

Das ehemalige Staatsunternehmen hat in Brasilien einen ramponierten Ruf. Nach der Privatisierung 1997 habe man zu sehr auf Profit gesetzt und die Sicherheit schleifen lassen, sagen Kritiker. Im November 2015 war im 120 Kilometer von Brumadinho entfernten Mariana bereits ein Abraumbecken der Vale-Tochter Samarco gebrochen, 19 Menschen starben. Dort warten immer noch viele Anwohner auf die versprochenen Entschädigungen.

In Brumadinho scheint es zumindest beim Finanziellen anders zu laufen. Vale zahlt allen Bewohnern einen Mindestlohn. Wer Immobilien verloren hat, bekam den Schaden ersetzt. Zudem erhielten die Angehörigen der Opfer Abfindungen. Eltern, Ehepartner und Kinder bekamen jeweils umgerechnet rund 106.000 Euro, Geschwister rund 23.000 Euro. Den Kindern zahlt Vale zudem eine Rente.

Ein Mitspracherecht bei den zwischen Vale und der Staatsanwaltschaft geführten Entschädigungsverhandlungen hatten die Angehörigen jedoch nicht, berichtet Nayara. Die Vertreter der Vale seien an einem Sonntag gekommen. „Sie sagten uns: entweder Ihr nehmt das Angebot an, oder es läuft nach dem Gesetz, das 50 Mindestlöhne vorsieht.“ Das wären nur rund 7.600 Euro gewesen. „Wir hatten da also keine andere Wahl als das anzunehmen.“

Doch Geld sei nicht alles, sagt Nayara. Die Opfervereinigung will Gerechtigkeit für die 272 Toten. Das sind zwei mehr als die offiziell 270 Opfer, weil zwei Schwangere getötet wurden, deren Babys sie mitzählen. „Wir wollen Gerechtigkeit spüren“, sie hoffe auf die Verurteilung aller 16 Hauptverantwortlichen. Anfang vergangenen Jahres hatte die brasilianische Justiz 11 Mitarbeiter der Vale sowie 5 Mitarbeiter des deutschen Prüfdienstes TÜV Süd wegen Mordes angeklagt.

Doch seitdem stocke das Verfahren. „Bei der Vale haben wir es mit einem Giganten zu tun“, erklärt Nayara den Stillstand. Neue Hoffnung kommt nun aus Deutschland. Dort soll demnächst eine Zivilklage gegen TÜV Süd eingereicht werden. Mitarbeiter des TÜV hatten das Abraumbecken Monate vor dem Unglück untersucht und den Betrieb genehmigt. Ermittlungen ergaben, dass der TÜV an der Stabilität zweifelte, jedoch auf Druck der Vale den Damm abnahm.

„TÜV Süd ist davon überzeugt, dass es keine rechtliche Verantwortung für das Versagen des Brumadinho-Staudamms trägt“, erklärte der Prüfdienst. Welche rechtlichen Konsequenzen in Deutschland drohen, ist offen. Nayara ist jedoch hoffnungsvoll. „Wenn sie den Prozess dort ernst nehmen, dürften wir in Deutschland schneller einen juristischen Erfolg sehen als hier.“

„Unser größter Wunsch ist, dass die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden“, sagt auch Helena Taliberti. Sie verlor ihre beiden Kinder sowie die schwangere Schwiegertochter. „Eine derartige Tragödie darf nicht einfach so straflos bleiben.“ Das Drama habe am 25. Januar 2019 begonnen – und gehe weiter. Das Schicksal der Toten lasse ihr keine Ruhe. „Deshalb wollen wir Angehörigen Gerechtigkeit sehen.“

Taliberti hat eine besondere Art des Weiterlebens gefunden. Sie gründete ein Institut, das sich für den Schutz der Umwelt und von misshandelten Frauen einsetzt. Damit führe sie die Ideen und Leidenschaften ihrer Kinder weiter, die in diesen Bereichen engagiert waren, sagt sie. Zum zweiten Jahrestag wird das Institut 272 Bäume pflanzen, ein jeder mit dem Namensschild eines Opfers versehen.

„Für die Familien der Opfer ist jener 25. Januar 2019 immer noch nicht vorbei“, betont auch Nayara Cristina. „Solange es keine Gerechtigkeit gibt – und das bedeutet für uns, dass die Schuldigen festgenommen und vor Gericht gestellt werden – solange kann dieser Tag nicht zu Ende gehen.“

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Von Thomas Milz (KNA)

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