Der Irak zwischen Vielfalt und islamischer Dominanz

Der Irak zwischen Vielfalt und islamischer Dominanz

Hintergrund ‐ Christen waren einst im Irak in der Mehrheit. Heute kämpfen sie wie andere Minderheiten gegen die Auswirkungen von jahrelanger Gewalt und Terror - oder sie verlassen das Land, das als eine Wiege der Christen gilt.

Erstellt: 01.03.2021
Aktualisiert: 01.03.2021
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Als eines ihrer ältesten Siedlungsgebiete gehört der Irak zur Wiege der Christenheit. Hier im Zweistromland soll der heilige Apostel Thomas ihnen erstmals das Evangelium verkündet haben. Einst Mehrheit, leben Christen heute als dramatisch geschrumpfte Minderheit in einem multireligiösen, multiethnischen Irak islamischer Dominanz. Jahre der Verfolgung durch islamistische Extremisten wie den „Islamischen Staat“ (IS) haben die Zerrissenheit eines Landes gezeigt, dem es dringend an politisch-religiöser Versöhnung mangelt.

Der Erdölstaat Irak ist ein junges und ein armes Land. Knapp die Hälfte der 39,5 Millionen Iraker ist jünger als 21 Jahre, knapp ein Drittel lebte nach UN-Angaben 2019 unterhalb der Armutsgrenze. Neben einer Viertelmillion Flüchtlingen vor allem aus Syrien stellen 1,4 Millionen Binnenvertriebene das Land vor Herausforderungen.

Die meisten Iraker sind ethnische Araber oder Kurden und Muslime, doch gibt es viele Minderheiten, darunter Turkmenen, Assyrer, Armenier, Jesiden und Mandäer. Die Vielfalt spiegelt sich nicht zuletzt in den Landessprachen wider. Neben Arabisch und Kurdisch sind in entsprechend dominierten Gebieten Turkmenisch, Altsyrisch und Armenisch offiziell anerkannt. 65 bis 70 Prozent sind Schiiten, der Rest gehört abgesehen von den religiösen Minderheiten der sunnitischen Richtung des Islam an.

Dieser ist Staatsreligion und Quelle der Gesetzgebung. Die Verfassung schützt gleichermaßen die islamische Identität der Mehrheit der Iraker und die religiösen Rechte von Christen, Jesiden und Mandäern. Die Ausübung der Bahai-Religion oder der Übertritt von Muslimen zu einer anderen Religion sind ungesetzlich. Das Gesetz verpflichtet die Regierung zum Schutz heiliger Stätten und der freien Religionsausübung der anerkannten Religionsgemeinschaften, zu denen elf Kirchen sowie die Adventistengemeinde gehören. Neun der 329 Sitze im Repräsentantenrat (Parlament) sind für Minderheiten reserviert, darunter fünf christliche Vertreter. Im autonomen kurdischen Parlament entfallen 11 der 111 Sitze auf Minderheiten, darunter sechs auf Christen.

Genossen Christen unter Saddam Hussein vergleichsweise große Freiheiten, wurden die Spielräume für nichtmuslimische Minderheiten nach 2003 immer kleiner. 50 Prozent der irakischen Christen, nach manchen Schätzungen bis zu 90 Prozent, verließen das Land Richtung Syrien, Jordanien, Libanon oder in den Westen. Heute machen sie laut Schätzungen des US-Außenministeriums rund ein Prozent der Bevölkerung aus und leben vor allem im Norden des Landes und der autonomen Region Kurdistan.

Für das christliche Erbe von zentraler Bedeutung ist die Ninive-Ebene. Ursprünglich Kerngebiet der Christen, entvölkerte sich die Region um die Stadt Mossul nach dem Irakkrieg 2003 und dann über Nacht 2014 mit dem Einfall des IS. Zwar kehrten einige Christen in den letzten Jahren zurück, doch ihre einstige Hochburg bleibt stark geschwächt, das Ausmaß der Zerstörung groß.

Immer wieder ermutigen Kirchenvertreter ihre Gläubigen zur Rückkehr in die angestammten Gebiete, „damit das Land nicht von anderen in Anspruch genommen wird“, wie es der chaldäische Patriarch Kardinal Louis Raphael I. Sako 2017 formulierte, das Oberhaupt von rund zwei Dritteln der irakischen Christen. Sie dürften den Irak und seine christlichen Traditionen nicht verlassen, mahnte er unlängst erneut. „Die Menschen dieser Region sind die Wurzeln der Christenheit, und wenn es dort keine Christen mehr gibt, werden die Christen ohne Wurzeln sein.“

Mit dem Sieg über den IS verbesserte sich die Lage im Irak. Der Schaden aber, den der islamistische Terror am feinen Gefüge des Landes angerichtet hat, ist laut Beobachtern wohl irreparabel. Bis heute ist der Schutz der Minderheiten nicht hinreichend gewährleistet, wird wiederholt von Einschränkungen der Religionsfreiheit, Gewalt gegen und Belästigung von Minderheiten berichtet.

Der Irak müsse unter aktiver Mitwirkung der Christen „ein Staat werden, der die Vielfalt respektiert, die Einheit bewahrt und sich vom Sektierertum entfernt“, forderte Patriarch Sako in seiner diesjährigen Fastenbotschaft. Der bevorstehende Besuch des Papstes sei eine Hoffnungsbotschaft für nationale Versöhnung, Frieden und Schutz für alle Bürger.

Von Andrea Krogmann (KNA)

© Text: KNA