Gerd Müllers Nachfolger steht vor großen Herausforderungen

Gerd Müllers Nachfolger steht vor großen Herausforderungen

Entwicklungspolitik ‐ Klima- und Umweltschutz, Nothilfe und nachhaltige Landwirtschaft, Krisen- und Konfliktmanagement: Entwicklungspolitik hat in den vergangenen Jahren an Bedeutung gewonnen. Wie kann es nun weitergehen?

Erstellt: 19.10.2021
Aktualisiert: 19.10.2021
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Er hinterlässt große Fußstapfen und ein ambitioniertes Reformkonzept. Mit Gerd Müller geht ein Entwicklungsminister, der etwas bewegen wollte - und einiges in Gang gebracht hat. Dazu gehört das Lieferkettengesetz, das der CSU-Politiker zusammen mit Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) gegen teils erhebliche Widerstände und mit Unterstützung von kirchlichen und nicht-kirchlichen Verbänden und Hilfsorganisationen durchsetzte.

Die kurz vor der Sommerpause vom Bundesrat verabschiedete Regelung sieht vor, dass ab 2023 große deutsche Unternehmen auf die Einhaltung von Menschenrechten auch bei ausländischen Zulieferern achten. Ziel ist unter anderem, Kinderarbeit zu bekämpfen. Umweltbelastungen sind ebenfalls einbezogen, soweit sie etwa die Gesundheit der Arbeiter gefährden.

Die großen politischen Linien skizziert das im vergangenen Jahr von Müllers Ministerium veröffentlichte Reformpapier „BMZ 2030“. Entwicklungspolitik wird darin als „Querschnittsaufgabe“ verstanden, mit deren Hilfe nicht zuletzt die von der Staatengemeinschaft vereinbarten nachhaltigen Entwicklungsziele bis 2030 umgesetzt werden sollen.

Um Hunger und die Folgen von Klimawandel zu bekämpfen, den Umweltschutz voranzubringen und eine faire Form des Wirtschaftens zu ermöglichen, hat das BMZ mit fünf Kernthemen gezielt Schwerpunkte gesetzt und die Zahl der Partnerländer in der bilateralen Entwicklungszusammenarbeit von 85 auf 60 verringert.

Welche Rolle spielen diese und andere Themen bei der Bundestagswahl? „Entwicklungspolitik hat in den Parteien keine starke Lobby“, stellt Imme Scholz vom Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE) in Bonn fest. In den Wahlprogrammen von Union, SPD, Grünen und FDP finden sich immerhin Überlegungen, die der Idee einer „Querschnittsaufgabe“ nahekommen. Dabei gebe es aber wichtige Unterschiede, so Scholz.

CDU/CSU und FDP stellen Entwicklungspolitik in den außen- und sicherheitspolitischen Kontext; die Union fordert eine neue Sicherheitsarchitektur, die FDP einen Nationalen Sicherheitsrat. Die Grünen wollen die sozial-ökologische Transformation Deutschlands auch international durch einen Nationalen Rat für Frieden, Nachhaltigkeit und Menschenrechte vorantreiben. Die SPD will die europäische Entwicklungspolitik stärken und die Handelspolitik entwicklungsgerechter gestalten, erläutert Scholz.

Dagegen fordert die Linkspartei einen grundsätzlichen Kurswechsel, weil sie die bisherige Entwicklungspolitik für gescheitert hält. Die AfD wiederum kreist auch bei diesem Politikfeld um ihr Kernthema, den Umgang mit Flüchtlingen und Zuwanderern. Die Gewährung von Entwicklungshilfe, so heißt es, sei „an die Bereitschaft zur Rücknahme ausreisepflichtiger Migranten zu knüpfen“.

Ob ein solcher Ansatz den Herausforderungen, vor denen die Welt steht, gerecht wird? Krisen und Konflikte haben zugenommen, zugleich fällt es der Staatengemeinschaft immer schwerer, angemessene Antworten darauf zu finden, wie nicht zuletzt das Beispiel Afghanistan zeigt. Die G20, die Gruppe der wichtigsten Industrie- und Schwellenländer, könnte den Multilateralismus stärken, meint Imme Scholz. Die G7 wiederum könnte ambitionierte Maßnahmen etwa beim Klima- und Umweltschutz voranbringen.

Genug zu tun für eine neue Entwicklungsministerin oder einen neuen Entwicklungsminister. Zumal der bisherige Amtsinhaber auch einige offene Baustellen hinterlässt, wie der entwicklungspolitische Dachverband Venro anmerkt. Ein Beispiel: der 2017 angekündigte „Marshallplan mit Afrika“, der eine gleichberechtigte Partnerschaft mit Europas Nachbarkontinent anstrebt. „Bisher konnte dieser Anspruch nicht in die Tat umgesetzt werden“, bilanziert Venro.

Eine wichtige Frage wird sein, wie viel Geld dem Ministerium künftig zur Verfügung steht. Die mittelfristige Finanzplanung sieht ab 2023 drastische Rückgänge beim Etat vor. So oder so gilt die Einschätzung von Martin Bröckelmann-Simon, bis Ende August Hauptgeschäftsführer von Misereor: „Entwicklungspolitik muss sich vor Selbstüberschätzung und Überforderung hüten.“ Der scheidende Minister Müller wird indes weiter Präsenz zeigen: als Chef der UN-Organisation für Industrielle Entwicklung (UNIDO).

Von Joachim Heinz (KNA)
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