Internationaler Strafgerichtshof ermittelt gegen Venezuela

Internationaler Strafgerichtshof ermittelt gegen Venezuela

Caracas ‐ Der Internationale Strafgerichtshof hat eine formale Untersuchung von mutmaßlichen Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Venezuela eingeleitet. Ein historischer Schritt, den viele Zivil-Akteure begrüßen.

Erstellt: 09.11.2021
Aktualisiert: 08.11.2021
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Die Vorwürfe wiegen schwer und sind seit langem bekannt: Sicherheitskräfte in Venezuela sollen Regierungsgegner gefoltert und hingerichtet haben. Vor allem gegen die von Präsident Nicolas Maduro ins Leben gerufene Sondereinheit FAES erhoben Menschenrechtsverteidiger und Nichtregierungsorganisationen in den vergangenen Jahren immer wieder schwere Vorwürfe. Die werden nun vom Internationalen Strafgerichtshof untersucht. Die Institution hatte bereits im Vorfeld genügend Material gesammelt, das eine Anklage ermöglichte.

Nun hat der Strafgerichtshof auch formal eine Untersuchung zu mutmaßlichen Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Venezuela eingeleitet, wie Chefankläger Karim Khan zum Abschluss eines dreitägigen Besuchs in Venezuela in dieser Woche ankündigte. Khan erklärte bei einer Pressekonferenz im Beisein Maduros, er werde keinerlei Einmischung in die Ermittlungen tolerieren. Untersucht werden sollen aber auch mögliche Gewalttaten von Regierungsgegnern.

Während die Maduro-Regierung ihre Unschuld beteuert und die Opposition warnt, voreilig einen Sieg zu feiern, fällt bei renommierten Nichtregierungsorganisationen die Einschätzung zum Vorgehen des Gerichtshofs positiv aus. Human Rights Watch (HRW) macht eine historische Bedeutung aus – denn die Entscheidung bedeute die erste Untersuchung des Strafgerichtshofs in Amerika und erfolge als „Reaktion auf den brutalen repressiven Angriff des Maduro-Regimes gegen das venezolanische Volk“.

Die venezolanische NRO Médicos Unidos dankte Khan für seinen Besuch im Land und die „Überprüfung der Menschenrechtslage sowie für die Ankündigung der nächsten Phase der Untersuchung der begangenen Verbrechen, die die Befehlsketten beinhalten“.

„Die Botschaft sowohl an die Opfer als auch an die Täter ist äußerst eindringlich und wird unmittelbare Konsequenzen haben“, sagte Gonzalo Himob, Vize-Direktor von Foro Penal, das nach eigenen Angaben politische Verfolgung in Venezuela dokumentiert, zu regierungskritischen Portalen. Er hoffe, dass nun Verfolgung und Aggressionen aus politischen Gründen in Venezuela definitiv abnehmen werden, da das Land bereits formell unter der Kontrolle des Internationalen Strafgerichtshofs stehe. Dies habe Konsequenzen für jene, die Verbrechen gegen die Menschlichkeit begehen“, sagte Himbob.

Diosdado Cabello, Vizepräsident der sozialistischen Regierungspartei und Nummer zwei in der Machtstruktur hinter Maduro, kündigte an, Venezuela werde gestärkt aus dem Prozess hervorgehen. „Wir werden uns auf unsere Verteidigung vorbereiten“, sagte er laut lokalen Medienberichten. Einige Regierungsvertreter erklärten, es sei nun die Chance, „die Lügen zu widerlegen“, die im Ausland über Venezuela verbreitet würden.

Die Entscheidung des Internationalen Strafgerichtshofs ist nicht der einzige juristische Rückschlag, den die Regierung Maduro in jüngster Zeit verkraften musste. Zuletzt machte die Auslieferung des kolumbianischen Geschäftsmanns Alex Saab von den Kapverdischen Inseln in die USA Schlagzeilen. Die US-Justiz wirft Saab vor, Maduros Strohmann für Geldwäsche zu sein. Zudem sorgen Aussagen eines ehemaligen Geheimdienstchefs für Aufsehen, der Vorwürfe gegen die sozialistische Regierung erhebt und nun dort als Verräter betrachtet wird.

Das alles findet wenige Wochen vor den Regionalwahlen statt, bei denen erstmals seit 15 Jahren EU-Beobachter die Rechtmäßigkeit des Urnengangs in Venezuela überprüfen sollen. Im Vorfeld fand ein inzwischen wegen der Auslieferung Saabs von Maduro abgebrochener Dialog zwischen Regierung und Opposition in Mexiko statt. „Jede Verhandlung ist ein Licht der Hoffnung“, kommentierte der stellvertretende Vorsitzende der Venezolanischen Bischofskonferenz, Bischof Raul Biord von La Guaira, jüngst bei einem Besuch des Lateinamerika-Hilfswerks Adveniat. Denn ohne eine grundlegende politische Lösung gebe es kein Ende des Hungers, keine medizinische Versorgung und in der Corona-Pandemie keine flächendeckenden Impfungen.

Von Tobias Käufer (KNA)

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