Evangelikale verändern Latino-Gemeinde in den USA

Evangelikale verändern Latino-Gemeinde in den USA

Washington ‐ Die US-Evangelikalen setzen ihre erfolgreiche Latino-Mission fort. Während die Zahl der Katholiken schrumpft, versteht sich heute jeder fünfte hispanische US-Bürger als evangelikal. Das hat auch politisch Konsequenzen.

Erstellt: 14.03.2022
Aktualisiert: 22.06.2022
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Samuel Rodriguez sieht die Demokraten auf dem absteigenden Ast. Die Partei habe ihre Tuchfühlung zur Latino-Gemeinde verloren, meint der Präsident der National Hispanic Christian Leadership Conference (NHCLC). Der Organisation gehören mehr als 40.000 Mitgliedskirchen an. Ihre Botschaften decken sich auffällig mit der politischen Agenda der von Donald Trump geprägten Republikaner.

Das war nicht immer so. Die ältere Latino-Generation war eine verlässliche Wählergruppe der Demokraten. Der Wandel begann in den 1980er Jahren, als Latinos vermehrt in evangelikale Gemeinden strömten und Republikaner wählten. Vor allem wegen der Abtreibungsfrage. „Es geht nicht darum, dass ich die Republikaner umarme“, so Rodriguez, der 2017 bei Trumps Amtseinführung für den neuen Präsidenten betete. Für ihn gehe es darum, dass die „Grand Old Party“ seine Werte vertrete.

Evangelikale Latinos seien in erster Linie religiös motiviert, brachte es schon vor den Wahlen 2020 die „New York Times“ auf den Punkt. Deshalb unterstützten viele von ihnen Trump, trotz seiner harten Einwanderungsrhetorik. Sie werden durch evangelikale Kirchen politisiert, deren Pastoren sich einerseits zu keiner Partei bekennen, andererseits aber Positionen zu republikanischen Kernthemen vertreten.

Dazu gehören der Kampf gegen Abtreibung und gleichgeschlechtliche Ehe ebenso wie die Betonung der Religionsfreiheit; Ziele, die bei den Zwischenwahlen im November Priorität haben könnten. Schon im Präsidentschaftswahlkampf 2020 vergab ein Wahlleitfaden einer evangelikalen Latino-Gemeinde Punkte für die Kandidaten: Trump erhielt vier Sterne für „sehr gut“, Biden keinen einzigen.

Evangelikale Latinos stellten ihre persönliche Beziehung zu Gott in den Vordergrund, beobachtet Marc Mulder, Soziologe an der „Calvin University“ in Grand Rapids in Michigan. Dieser Individualismus der „persönlichen Verantwortung“ mache sie empfänglicher für die Programmatik der Republikaner. An Themen der sozialen Gerechtigkeit, die bei katholischen Latinos dominieren, seien sie weniger interessiert. Hispanische Evangelikale gehen häufiger in die Kirche, beten und lesen die Bibel regelmäßiger, so Mulder.

Eine Besonderheit ist auch, dass evangelikale Latinos mehrheitlich nicht in den USA geboren wurden – anders als katholische oder konfessionell ungebundene Latinos. Dadurch bringen sie eine religiöse und politische Prägung aus ihrer lateinamerikanischen Ursprungsheimat mit, in der evangelikale Kirchen schon seit langem auf dem Vormarsch sind, so Mark Hugo Lopez vom Meinungsforschungsinstitut Pew. Im Übrigen ursprünglich mit Förderung der USA. So hat das Wachstum der Evangelikalen in Brasilien und anderen Ländern Lateinamerikas inzwischen auch zu einem verstärkten politischen Einfluss der Evangelikalen in der Region geführt. Dort haben sie rechten Politikern wie Jair Bolsonaro in Brasilien zu Wahlsiegen verholfen.

Dieser Einfluss macht sich inzwischen auch in den USA bemerkbar. Bis 2030 will der NHCLC rund 25.000 neue Gemeinden gründen, so der Plan; teils in Zusammenarbeit mit der Southern Baptist Convention, die allein in den nächsten vier Jahren 1.000 neue, von Latinos geführte Kirchen unterstützen will. „Wir haben die Kraft, die Mittel, den Antrieb“, erklärt selbstbewusst NHCLC-Chef Rodriguez.

Der Expansionskurs verschiebt die Religionslandkarte der USA: Latino-Katholiken nehmen ab, Latino-Evangelikale nehmen zu. Pew-Umfragen von 2018/19 belegen eine kontinuierliche Talfahrt der katholischen Latinos. Vor gut zehn Jahren waren noch 57 Prozent der Hispanics römisch-katholisch; aktuell sind es rund 10 Prozent weniger. Fast die Hälfte der US-Latinos, die sich vom Katholizismus ab- und evangelikalen Gemeinden zugewandt haben, geben laut Pew „persönlichere Zuwendung“ als Grund an.

Evangelikale böten ein Gefühl von „gemeinschaftlicher Hoffnung und Sinn“, so der Religionswissenschaftler Gaston Espinosa vom Claremont McKenna College. Diese Kirchen bieten Latinos einen „moralischen Rahmen“, um die US-Gesellschaft zu verstehen. Zugleich garantierten spanischsprachige Pastoren die Wahrung ihrer kulturellen Identität.

Innerhalb der evangelikalen Gemeinschaft sind Latinos die am schnellsten wachsende Gruppe im Land. Sie sind auf dem Weg, auch eine Macht unter den Wählern zu werden. Schätzungen gehen davon aus, dass die hispanische US-Bevölkerung bis 2060 von rund 60 Millionen auf über 110 Millionen anwachsen dürfte. Mit weitreichenden Folgen für künftige Wahlen.

Von Thomas Spang (KNA)

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