Guatemala: Schule der Hoffnung, Schule der Gesundheit
Cobán ‐ Zwei Jahre lang waren die Schulen in Guatemala geschlossen. In einem der ärmsten Länder Lateinamerikas hat der Kampf gegen Corona für Kinder und Jugendliche fatale Folgen für ihre Bildung und für ihre Gesundheit.
Aktualisiert: 22.06.2022
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Der Fußballplatz liegt verwaist in der hellen Morgensonne. Kein Kinderlachen, kein Torjubel. Die bunt angemalten Gänge der „Asociación Comunidad Esperanza” sind leer: Wie in ganz Guatemala war auch diese Schule zwei Jahre lang wegen der Corona-Pandemie geschlossen. Für die rund 450 Schülerinnen und Schüler eine Katastrophe: „Viele kommen aus zerrütteten Familien. Für sie sind wir auch Schutzraum vor Gewalt in der Familie“, sagt der Direktor Byron Gómez Gatica. „Wir haben in den vergangenen zwei Jahren einen Anstieg von Kindesmisshandlungen beobachtet. Und viele unserer Schüler arbeiten auf den Straßen und Märkten, anstatt zu lernen.“
Die „Asociación Comunidad Esperanza” („Gemeinschaft der Hoffnung”) liegt in einem der Armenviertel der 90.000-Einwohner-Stadt Cobán im Zentrum Guatemalas. Der guatemaltekische Priester Sergio Godoy Peláez hat sie 2003 gegründet, um Kindern aus armen Familien eine Chance auf Bildung zu ermöglichen. In der Region leben rund 80 Prozent der Bevölkerung in Armut. Nirgendwo im Land sterben mehr Kinder an akuter Unterernährung. Darum bietet die Schule zusätzlich Gesundheitsversorgung, psychologische Begleitung und einmal am Tag ein warmes Essen an: „Wir setzen auf integrale Bildung“, erklärt Padre Sergio Godoy. „Denn ein Kind kann nicht lernen, wenn es hungrig ist. Und kein Kind kann sich aus dieser Situation befreien, wenn es nicht lernt, für sich selbst zu sorgen und für seine Rechte einzustehen.“ Die jungen Menschen würden begleitet, Schulgeld müssten sie nicht zahlen: „Wer sich hier einschreibt, ist Teil der ‚Familie der Hoffnung‘!“
Struktur und Sicherheit: Beides fiel durch die landesweiten Schulschließungen seit dem Frühjahr 2020 wegen Corona für viele Kinder und Jugendliche weg. Zwar habe man sich bemüht, alle Angebote auf anderem Weg aufrecht zu erhalten, aber die Umstellung auf Fernunterricht war schwierig, erklärt Padre Sergio Godoy. Die Wenigsten haben zu Hause einen Ort zum Lernen und würden dabei unterstützt.
Misael Ávila Cau Beb ist in die Schule gekommen. Der 13-Jährige gibt seine Aufgaben bei der Lehrerin ab und holt sich neue Arbeitsblätter ab. „Die letzten zwei Jahre waren für mich sehr schwierig. Ich habe zwar meine Aufgaben gemacht, aber in der Schule fällt mir das leichter. Denn ich habe keinen Computer und komme nur manchmal mit dem Handy meiner Mutter ins Internet, um mir die Aufgaben herunterzuladen.“
Ähnlich ist es auch Kristel Chuc Pakay ergangen. Sie wohnt mit ihrer Mutter und ihren drei Schwestern nicht weit entfernt von der Schule: Den staubigen Schotterweg zu ihr nach Hause säumen Wellblechhütten. Die Hütte der Familie ist aus einfachen Holzbrettern zusammengezimmert, der Fußboden besteht aus nacktem Lehm. In einer kleinen Schreibtischecke zeichnet sie gewissenhaft geometrische Formen in ihr Heft. Aber nicht alles lief glatt beim Fernunterricht: „Manchmal habe ich etwas verstanden und manchmal nicht“, sagt Kristel. „Dann habe ich meine älteren Schwestern um Hilfe gebeten. Aber meine Freundinnen aus der Schule habe ich sehr vermisst.“
Für ihre Mutter waren die letzten zwei Jahre ein Spagat: Miriam Pacay ist Witwe, ihr Mann starb vor einigen Jahren an Krebs. Seitdem muss sie alleine für die Familie sorgen. Arbeiten und gleichzeitig ihre Töchter beim Lernen unterstützen: Das war für sie kaum zu schaffen. „Natürlich haben die Kinder nicht so viel gelernt, wie in der Schule. Ich bin keine Lehrerin, ich weiß nicht, wie man unterrichtet. Und manche Fächer, wie zum Beispiel Mathematik, kann ich auch nicht. Wir Eltern haben getan, was wir konnten, aber das kann Schulunterricht nicht ersetzen.“
Ihre Töchter zum Arbeiten zu schicken, war für Miriam Pacay dennoch nie eine Option: Sie sollen eine Ausbildung bekommen und später einen richtigen Beruf erlernen. „Meine Kinder sollen es einmal besser haben als ich.“ Die Comunidad Esperanza ist für sie und viele Familien in dem Viertel eine Hoffnung, im wahrsten Sinne des Wortes: „Wir müssen uns keine Sorgen um das Schulgeld, die Bücher und die Unterrichtsmaterialien machen“, sagt Miriam. „Und es gibt Essen und ärztliche Versorgung. Wir wissen, dass wir hier immer Hilfe finden, wenn wir Probleme haben!“ Das Lateinamerika-Hilfswerk Adveniat unterstützt die Schule seit vielen Jahren. Gehälter werden ebenso finanziert wie Zuschüsse für Lebensmittel und Medikamente.
Seit Mitte Februar dürfen die Schulen in Guatemala offiziell wieder öffnen. De facto bleiben viele Schulen aber auch in den Wochen danach geschlossen, weil die lokalen Inzidenzen zu hoch sind. In der „Comunidad Esperanza” versucht man es mit Wechselunterricht – in kleinen Gruppen und mit vielen Hygienemaßnahmen.
Das Bildungsministerium war keine große Hilfe, klagt Padre Sergio Godoy. „Für die Politik waren die Kinder und Jugendlichen nie wichtig! Die aktuelle Regierung ist eine der korruptesten in ganz Lateinamerika und das, was sie am allerwenigsten gemacht hat, ist Pandemiebekämpfung!“
Die „Comunidad Esperanza” übernimmt mit Hilfe von Adveniat die Aufgabe der Regierung. „Wir machen das, weil wir wissen, dass sich sonst niemand um die armen Kinder und Jugendlichen kümmern würde“, sagt Padre Sergio Godoy. Seit 19 Jahren versuchen er und seine Mitarbeiter jetzt schon, die Lebensumstände der Menschen in den Armenvierteln von Cobán zu verbessern. Bildung ist der Schlüssel dazu, der Glaube die Motivation: „Indem wir uns in den Dienst der Ärmsten stellen, leben wir das Evangelium und füllen es mit Leben. Für uns die konkreteste Art, unseren Glauben zu leben.“
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