Vertreter indigener Gruppen aus Kanada zu Gesprächen im Vatikan

Vertreter indigener Gruppen aus Kanada zu Gesprächen im Vatikan

Vatikanstadt ‐ Der Besuch indigener Vertreter aus Kanada in Rom war lange geplant. Was sie in katholischen Internaten erleiden mussten, wollten sie dem Papst persönlich sagen. Ein „Meilenstein“, sagen viele; weitere müssten folgen.

Erstellt: 04.04.2022
Aktualisiert: 13.09.2022
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Handgefertigte Schneeschuhe und Mokassins, die sie dem Papst geschenkt habe, seien kein Souvenir, erklärt Grand Chief Mandy Gull-Masty von der Cree Nation. Vielmehr eine Mahnung, mit ihnen zusammen den schwierigen Weg weiterzugehen. Der „Weg“ ist die Aufarbeitung von gut 100 Jahren kolonialem Unrecht, das katholische Kirchenvertreter an indigenen Familien und ihren Kindern in Kanada begangen haben: Misshandlungen und Missbrauch in kirchlichen Schulen für indigene Kinder, sogenannte Residential Schools.

Begonnen hatte der „Weg zu Heilung und Versöhnung“, wie das Projekt von Indigenen und katholischer Kirche heißt, vor drei Jahren in Kanada. Seit Sonntag nun hielt sich eine größere Delegation indigener Volksgruppen zusammen mit Bischöfen des Landes in Rom auf. Dort trugen Delegierte der Inuit, Metis und First Nations ihre Geschichten dem großen „Chief“ der katholischen Kirche vor.

Sie erzählten ihm von Kindern, die ihren Familien entrissen und in Internate gesteckt wurden, in denen sie ihre Sprache nicht sprechen, ihre Traditionen nicht pflegen durften. In denen sie der vermeintlich überlegenen Kultur europäischer Einwanderer angepasst werden sollten. Eltern, die jahrelang nicht wussten, was mit ihren Kindern geschah; die vergebens warteten, sie wiederzusehen, weil ihr Sohn, ihre Tochter an den elenden Bedingungen dort gestorben und auf dem Gelände anonym begraben worden war.

Bei Treffen am Montag und Donnerstag hörte Franziskus vor allem zu. Am Freitag in der Sala Clementina gesteht der Papst: Was ihm die Gäste erzählt hätten, habe ihn „mit Empörung und Scham“ erfüllt. Empört sei er, weil viele sich immer noch weigerten, aus der Vergangenheit zu lernen. Scham und Schmerz hingegen empfinde er „wegen der Rolle, die Katholiken hatten, vor allem Verantwortliche im Bildungswesen“. „Für das beklagenswerte Verhalten dieser Mitglieder der katholischen Kirche bitte ich Gott um Vergebung“, sagt Franziskus weiter. Er schließe sich den kanadischen Bischöfen und ihrer Bitte um Vergebung für das Unrecht an.

Der Papst hat begriffen, was wir ihm erzählt haben, bestätigt Cassidy Caron, Leiterin der Metis-Delegation, am Ende. „Die Entschuldigung war lange überfällig“, meint hingegen Natan Obed von den Inuit. Wie einzelne Betroffene sie empfänden, sei sicher unterschiedlich. Die Begegnung mit dem Papst sei aber nur „ein Puzzlestück“, so Obed. Weitere stünden aus; etwa die Auslieferung eines des Missbrauchs beschuldigten Ordensmanns aus Frankreich nach Kanada. Oder die Rückgabe von Inuit-Exponaten in den Vatikanischen Museen. Andere verlangten, kirchliche Dokumente, in denen von kultureller oder rassischer Überlegenheit die Rede ist, müssten widerrufen werden.

Chief Gerald Antoine vom Volk der Dene sprach in diesen Tagen mehrfach von einem „historischer Meilenstein“. Die Begegnungen mit dem Papst, wie die Reise insgesamt, erinnerten ihn an das Deckengemälde in der Sixtinischen Kapelle, wo der Zeigefinger einer Person (Gott) den einer anderen (Adam) berührt. Ein Moment, in dem ein Funke überspringt.

So lobt und würdigt der Papst am Freitag die Weisheit der indigenen Völker: ihr Traditionsbewusstsein, ihren Gemeinschaftssinn, ihre Einsichten in den Zusammenhang von Mensch und Schöpfung. Eine Aussage habe ihn besonders beeindruckt, gesteht Franziskus: „Wer heute eine Entscheidung trifft, muss sieben Generationen vorausdenken.“ Das ist Nachhaltigkeit, wie sie dem Verfasser der Sozial- und Umweltenzyklika „Laudato si“ vorschwebt. Bereits bei seinen Reisen nach Südamerika hatte Franziskus immer wieder die soziale wie ökologische Weisheit indigener Völker gelobt. Diese müssen mit wissenschaftlicher Forschung und westlichen Lehr-Curricula integriert werden.

Jedes Treffen beginnt mit einem Gebet an den Schöpfer

Ob sie den Papst trafen, Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin, Ordensvertreter oder Journalisten: Jedes Treffen begannen die Gäste mit einem Gebet an den Schöpfer, die Begegnung zu segnen. Solche Spiritualität, gesprochen, gesungen oder getanzt, gefällt Franziskus. Die Voraussetzungen, den schwierigen Weg der Aufarbeitung des „kulturellen Genozids“ weiterzugehen, scheinen demnach gut.

Weitere Schritte müssten nun folgen, forderte Natan Obed. So stehe noch die päpstliche Entschuldigungsbitte in Kanada selbst aus. Das sagte der Papst zu. Rund um den Namenstag der von vielen verehrten Anna, der Großmutter Jesu, wolle er Ende Juli bei ihnen in Kanada sein. Dort könne er die verlangte Bitte um Vergebung in noch besserer Form aussprechen.

Weder der Vatikan noch Kanadas Bischöfe wollen dies derzeit offiziell bestätigen. Chief Antoine jedenfalls nimmt es als Zeichen von Verlässlichkeit, dass der Papst ein ihm anvertrautes Wiegenbrett – ein wichtiges Symbol für jedes indigene Kind –, über das Franziskus eine Nacht lang wachen sollte, am Freitag wohlbehalten zurückgab.

Von Roland Juchem (KNA)

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