Mit ihrer 16-jährigen Tochter wohnt Iris in einem einfachen, aber gemütlichen Haus. Unter dem Vordach baumeln Hängematten. Nebenan, auf demselben Grundstück, wohnt ihre älteste Tochter mit Mann und Sohn, ein Stück dahinter ihre Schwiegertochter mit Baby. Iris’ Sohn ist mit ihrem älteren Enkel vor einem Jahr in die USA emigriert. „Er hat noch Träume und möchte nur das Beste für seinen Sohn. Hier ist es schwierig, ein Kind großzuziehen, ihm eine gute Bildung zu ermöglichen“, sagt sie. Also kündigte er seinen schlechtbezahlten Job und gab all sein Geld einem Schleuser. Iris’ zweitälteste Tochter lebt illegal in Spanien. Trotz Universitätsabschluss fand sie in Honduras keine Anstellung. Jede Familie in Honduras habe Angehörige, die ins Ausland gegangen sind, erzählt Iris.
Jeden Tag verlassen mehr Menschen das Land. Wenn Iris an ihre Kinder denkt, wird sie still. „Eine Mutter macht sich immer Sorgen um ihre Kinder“, sagt sie. „Ansonsten sind wir Frauen so stark wie Männer – oder sogar noch stärker. Viele Frauen hier sorgen allein für ihre Familie.“ Iris muss das nicht. Aber ihr Mann kommt nur einmal im Monat nach Hause, da er im Straßenbau tätig ist und durchs ganze Land geschickt wird. „Ich habe meine Kinder allein großgezogen. Nur so konnten sie in einer würdevollen Umgebung aufwachsen. In einem stabilen Umfeld, mit guter Bildung. Alle haben einen Schulabschluss und ein Studium, auch die Jüngste möchte studieren. Das ist teuer.“
Darum kämpft sie, mobilisiert ihre Gemeinde und steht bei Protesten in der ersten Reihe – gegen die Zerstörung der Umwelt, für gerechte Land- und Ressourcenverteilung und gegen die Regierung. Sie begibt sich in Gefahr, denn auch friedliche Demonstrationen enden oft gewaltsam, wenn sich Polizei oder Militär einschalten. Angst habe sie nicht, erzählt sie. „Ich versuche, so gut wie möglich auf mich zu achten, auch wenn es keinen richtigen Schutz gibt. Mein Glaube gibt mir Mut und Stärke.“ Als Frau in der patriarchalischen Gesellschaft von Honduras braucht sie das auch. „Und außerdem“, fügt sie hinzu, „lieber sterbe ich durch einen Kopfschuss, als nichts getan zu haben.“
Iris’ Einsatz beschränkt sich nicht nur auf ihr Viertel, mit dem Bus fährt sie auch in andere Gebiete des Verwaltungsbezirks Atlántida an der nördlichen Atlantikküste, in dem sie lebt. „Meine größte Motivation sind meine Kinder und Enkel. Wie werden wir ihnen das Land überlassen?“ Iris zeigt von ihrer Veranda aus auf die tiefgrünen Berge in der Ferne. „Dort ist ein Naturschutzgebiet, aber es gibt immer wieder Brandrodungen. An manchen Tagen haben wir kein Wasser, weil es illegal genutzt wird. Wahrscheinlich von den Bergwerken. Wir müssen um das kämpfen, was Gott uns allen geschenkt hat, und nicht nur einer kleinen Gruppe. Denn wir möchten ein Honduras mit guten Zukunftsaussichten und glücklichen Familien. Ein Honduras, in dem die Menschen bleiben wollen.“