Körper und Tanz werden dabei zum kleinsten gemeinsamen Nenner einer globalisierten Gesellschaft, die sich mit demselben Problem konfrontiert sieht: einem Virus, das tötet. Einem Virus, das zwischenmenschliche Beziehungen auf ein Minimum reduziert und Weltbilder erschüttert. Der Wunsch nach Orientierung ist groß, das Bedürfnis nach Hoffnung noch größer. Und „Jerusalema“ verspricht tatsächlich Hoffnung – auch auf textlicher Ebene.
„Als ich den Song fertig produziert hatte, habe ich ihn wieder und wieder gehört. Ich hatte das Gefühl, etwas sehr Spirituelles gemacht zu haben“, sagt DJ Master KG. Der Text sei ihm und der Sängerin Nomcebo Zikode einfach zugefallen, weil sie sich von besagter spiritueller Aura des Rhythmus hätten leiten lassen.
Tatsächlich erinnert der Liedtext in Kombination mit dem Beat entfernt an afroamerikanische Gospelmusik. Musik, die das Evangelium verkündet – auf eine emotionale, mitreißende Art.
Laut Religionswissenschaftlerin Höpflinger geben die Lyrics von „Jerusalema“ Hoffnung. „Aber“, ergänzt sie, „noch stärker vermittelt das Lied dieses Heilsversprechen auf der Ebene der mitreißenden Musik und des Tanzes“.
Die Anrufung Jerusalems als „Heimat“ und „Königreich“ verweist auf die christliche Hoffnung, die mit dem „himmlischen oder neuen Jerusalem“ verbunden werden. In der neutestamentlichen Offenbarung des Johannes wird das himmlische Jerusalem zum Sinnbild der neuen Schöpfung nach dem letzten Gericht stilisiert.
Jerusalem, ein Ort, wo keine Not und kein Leid zu finden sind, weil Gott gegenwärtig ist – zugegeben eine schwierige Vorstellung, wenn man an die Bilder von Checkpoints und Bomben-Attentaten denkt. Und dennoch wird auch dort an der Hoffnung gearbeitet. So tanzen hier palästinensische und jüdische Jugendliche ebenfalls zu „Jerusalema“ – wenn auch Corona-bedingt nicht so exzessiv.
Ist das der Anfang einer Annäherung, zumindest virtuell? Folgt auf die Apokalypse die Erneuerung? Es wäre eine frohe Aussicht, während die Welt auf einen Impfstoff wartet – und bei Umweltbewusstsein und Gerechtigkeit kaum vorankommt. Zumindest weckt die Tatsache Zuversicht, dass ein einziges Lied die Menschen weltweit wenigstens für gut drei Minuten Ängste, Vorurteile und Konflikte vergessen lässt.