Weiträumig abgesperrt
Spaniens Zentralregierung in Madrid scheint sich der Lage bewusst zu sein. Das Camp ist weiträumig abgesperrt. Selbst Journalisten dürfen sich nicht nähern. Unterdessen fühlt sich die Inselregierung im Stich gelassen und von der aktuellen Welle von Ankömmlingen überfordert. Zwar versprach Spaniens Innenminister Fernando Grande-Marlaska vergangene Woche nach einem Besuch auf Gran Canaria, die Insel entlasten und Flüchtlinge aufs Festland holen zu wollen. Geschehen ist seither aber wenig.
Der Regierungschef von Gran Canaria, Antonio Morales, geht hart mit Madrid und Brüssel ins Gericht: „Spanien und die EU wollen die Kanaren zu einem zweiten Lesbos und einer Art Gefängnisinsel machen. Die Strategie ist klar: Den Migranten soll das Gefühl gegeben werden, nicht in Europa angekommen zu sein“, so Morales im KNA-Gespräch.
Unterdessen führt der Andrang auf Gran Canaria und den anderen Inseln wie Teneriffa, Fuerteventura und Lanzarote bereits zu Bürgerprotesten und Unruhe. Schon im August errichteten die Einwohner von Tunte Straßenbarrikaden, um die Unterbringung von Bootsflüchtlingen in ihrem Ort zu verhindern. Vergangene Woche mobilisierte der Fischerverband von Arguineguin das halbe Dorf zum Protest. „Wir leben hier vom Tourismus. Wegen Corona bleiben viele Urlauber weg. Die Bilder von Flüchtlingsmassen könnten noch mehr Touristen fernhalten“, glaubt Ricardo Ortega, Vorsitzender des Fischerverbands. „Wir haben nichts gegen Flüchtlinge, wohl aber etwas gegen eine solche Invasion illegaler Migranten“, so Ortega.
Dabei wollen die wenigsten Bootsankömmlinge aus Afrika überhaupt auf den Kanaren bleiben, da sie hier ohne Papiere weder arbeiten dürfen noch Jobs finden. „Und sie müssen dringend Geld nach Hause schicken“, versichert Juan Carlos Lorenzo von der spanischen Flüchtlingshilfsorganisation CEAR. Teilweise sparen ganze Gemeinden darauf, dass eine Person aus dem Dorf nach Europa übersetzen und Geld verdienen kann. Bis zu 1.000 Euro kostet ein Platz in den teils nicht motorisierten Holzbooten, die von den Schlepperbanden in Westafrika in die Passatwinde gezogen werden, wo die Migranten dann den Strömungen überlassen sind.
Ändern sich die Winde, treiben die Boote einfach an den Kanaren vorbei, und die Menschen verdursten auf dem Atlantik. Viele Boote kentern auch. Wie viele die gefährliche Überfahrt nicht überleben, weiß niemand genau. Laut der Internationalen Organisation für Migration IOM stirbt auf der Atlantikroute zu den Kanaren aber schätzungsweise jeder 16. Flüchtling. Zum Vergleich: Im östlichen Mittelmeer auf dem Weg nach Griechenland schafft es lediglich einer von 120 Bootsflüchtlingen nicht.