Im Buschdorf Nana-Bakassa feiert Dieudonne Nzapalainga eine Messe unter der bereits hoch stehenden Sonne. Vor dem Altar, der unter einer einfachen Plane aufgestellt ist, spricht er Zuhörer an, die von einer Gruppe von Anti-Balaka-Milizionären als Geiseln genommen wurden. Und er weiß, dass sich auch junge Milizsoldaten unter das Publikum gemischt haben. „Gerechtigkeit wird langsam geschehen, aber sie wird geschehen“, sagt Nzapalainga. „Früher waren sie Bauern, dann haben sie zu den Waffen gegriffen und nennen sich jetzt Oberst oder General. Aber Vorsicht – im Gefängnis in Bangui habe ich viele Generäle gesehen!“
In seiner Predigt mahnt der Erzbischof aus der Hauptstadt der Zentralafrikanischen Republik zum Frieden: „Wir beten zum Vater und sagen: 'Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.' Aber wir, die wir ein Elternteil oder unser Haus in dieser Krise verloren haben: Sind wir bereit, dem Anderen zu vergeben?“, fragt er und öffnet seine Arme weit. „Entwaffne dein Herz, und du wirst Frieden haben!“ Nach dem Gottesdienst erklärt er dann: „Unter den Zuhörern sind auch einige an einem Scheideweg. Ich versuche sie zu erreichen, ich sage ihnen: Es ist dein Tag der Befreiung!“
Der Erzbischof ist auf Pastoralbesuch im Bistum Bossangoa im Nordwesten der Zentralafrikanischen Republik. Die Region wurde durch jahrelange Konflikte erschüttert. Im März 2013 marschierten Rebellen der Seleka-Koalition auf die Hauptstadt Bangui. Nachdem sie die Macht übernommen hatten, kehrten sie zurück, um sich in der Präfektur Ouham niederzulassen. Die Gruppe, zumeist Muslime, brachte jene zum Schweigen, die sich nicht beugten.
Als Reaktion wurden Selbstverteidigungsmilizen gebildet, die sogenannten Anti-Balaka. „Darüber hat es Verwirrung gegeben. Die Seleka wurden mit Muslimen und die Anti-Balaka mit Nicht-Muslimen, Christen und Animisten gleichgesetzt“, erklärt Bischof Nestor Nongo. Die Fixierung auf die Religion in einem vor allem politischen Konflikt verselbstständigte sich. Das Eingreifen der französischen Streitkräfte verhinderte ein noch größeres Blutbad.
Den ganzen Nachmittag sitzt Kardinal Nzapalainga im Schatten der großen Bäume neben der heruntergekommenen Kirche von Nana-Bakassa und bringt abwechselnd christliche Religionsführer zusammen. Muslime haben seit 2014 keinen Fuß mehr in die Stadt gesetzt. Auch die Blauhelme der Minusca kamen nicht hierher.
„Hier gibt es keinen Staat mehr“, sagt der Abgeordnete des Bezirks. „Nur die Kirche arbeitet für das Volk. Sie sind unsere Stimme bei der Regierung.“ Bei Einbruch der Dunkelheit macht Kardinal Nzapalainga seine Notizen im Licht einer Taschenlampe. Er wurde im Sommer operiert und sollte sich erholen – doch er arbeitet hart.
Auf einmal platzt der örtliche Brigadekommandant heraus. Seit 2013 und dem Beginn der Krise ist er der einzige Polizist hier, unbewaffnet. Manchmal braucht es zwei Stunden, bis er ein Telefonnetz bekommt. „Ich halte es nicht mehr aus. Ich glaube, ich höre auf“, stöhnt er, den Tränen nahe. „Du bist ein Held“, antwortet der Kardinal. „Wenn wir aufgeben – wer wird dann kommen?“
Am nächsten Tag in Kouki, auf der anderen Seite einer unsichtbaren Grenze. Das Dorf ist eine Festung der Seleka. Der Ruf des Kardinals und sein Charisma haben es möglich gemacht, hier zwei gegnerische Anführer an den Tisch zu bringen. Der schlanke „General“ Alabib (49) gekleidet in ein bodenlanges beiges Gewand, kommandiert die lokale Seleka. Der 20 Jahre jüngere Stanislas Badjima führt 450 Anti-Balaka an.
„Das ist das erste Mal seit zwei Jahren, dass wir im selben Raum sind“, sagt Badjima. Und der Erzbischof bringt es auf den Punkt: „Ihr sagt, ihr wollt Frieden und habt 2017 ein Abkommen unterzeichnet. Aber was habt ihr damit gemacht? Die Bewegungsfreiheit muss von beiden Seiten akzeptiert werden!“ Die Männer heben die Hände, als hätte der Kardinal sie befreit durch eine simple Wahrheit.