Frage: Wie meinen Sie das?
Tauchner: Rassismus und Kolonialismus etwa gehen Hand in Hand, sollten aber nicht unbedingt in einen Topf geworfen werden. Wir sind beispielsweise mit Blick auf die Kolonien im 19. Jahrhundert gewohnt, die Europäer als Kolonisatoren und die Afrikaner als Unterworfene zu sehen. Der damit einhergehende scharfe Gegensatz zwischen Herrschern und Beherrschten lässt sich aber nicht immer aufrechterhalten. Deswegen spricht man inzwischen von „Kontaktzonen“, in denen europäische Beamte oder Priester unter wechselseitigen Abhängigkeiten mit Einheimischen zusammenkamen.
Frage: Inwiefern?
Tauchner: Die Europäer wussten sehr wohl: Wenn ich diesen Fluss hinunterfahre, dann brauche ich einen einheimischen Begleiter, der sich dort auskennt. Natürlich hat das Rassismus nicht verhindert oder das Machtgefälle zwischen Europäern und Afrikanern aufgelöst.
Frage: Aber?
Tauchner: Ich glaube, dass durch das Konzept der „Kontaktzonen“ ein kreativerer Zugang zu den gesellschaftlichen und kulturellen Prozessen in den Kolonien möglich ist. Man kann unbefangener darauf schauen und fragen: Was hat der eine vom anderen gehabt?
Frage: Wir haben jetzt viel über das Verhältnis von Europäern und Afrikanern gesprochen. Warum hielten es die Europäer lange Zeit für legitim, Afrikaner zu versklaven – und warum verhielten sie sich beispielsweise gegenüber den Indigenen in Lateinamerika zumindest der Theorie nach anders?
Tauchner: Sklaven aus Afrika waren bereits seit der Antike in Europa bekannt. Als Spanier und Portugiesen sich ab Ende des 15. Jahrhunderts in Mittel- und Südamerika festsetzten, stellten sie sich die Frage, ob man es bei den Bewohnern dieser Gebiete mit Menschen oder mit Arbeitstieren zu tun habe, die man in den neu angelegten Plantagen schuften lassen konnte. In seiner Bulle „Sublimis Deus“ wandte sich Papst Paul III. 1537 gegen eine Versklavung der Indigenen. Diese Bulle zog er allerdings im Jahr darauf wieder zurück, weil er sich geirrt habe.
Frage: Das hört man eher selten von Päpsten.
Tauchner: Weswegen diese Episode auch kaum bekannt ist. Die Indigenen wurden dessen ungeachtet ausgebeutet. Aber die eigentlichen Sklaven kamen aus Afrika.
Frage: Die Kirche hat dieses System der Unterdrückung jahrhundertelang mitgetragen. Und zugleich versucht, Menschen zum christlichen Glauben zu bekehren. Der Begriff „Mission“ ist deswegen durchaus belastet. Was heißt Mission heute?
Tauchner: Die entscheidende Wende ging vom Zweiten Vatikanischen Konzil aus. Seit Mitte der 1960er-Jahre gilt: Jede Kirche ist missionarisch – das Erzbistum Köln genauso wie das Bistum Dschibuti. Das heißt: Jeder soll geben, aber jeder soll auch lernen. Letzteres fällt uns in Deutschland sehr schwer. Spenden ja, aber etwas vom anderen annehmen? Da hängt uns dann doch das Überlegenheitsgefühl der Europäer aus der Kolonialzeit nach.
Frage: Wie gehen die Steyler Missionare damit diesem Ansatz um?
Tauchner: Wir haben eine Zeit lang gebraucht, um das zu verinnerlichen. In den 1980er-Jahren hat es zum Beispiel philippinische Ordensleute gegeben, die Missionare werden wollten. Sie konnten nach Südamerika gehen, aber nicht nach Europa, weil wir in unseren Konstitutionen definiert hatten, dass Europa kein Missionsgebiet sei. Das hat sich erst seit 1990 mit dem „Konsens von Roscommon“ geändert.
Frage: Kehren wir zum Abschluss noch einmal in die USA zurück. Dort stürmen Demonstranten Denkmäler von heute umstrittenen historischen Personen. Was halten Sie davon?
Tauchner: Ich halte das für einen geschichtsunbewussten Fundamentalismus. Weil diese Demonstranten glauben, sie könnten eine Eindeutigkeit herstellen, die es in der Geschichte nicht gibt und nie geben wird. Immer werden Nachgeborene anders auf jene Menschen blicken, die Generationen zuvor auf einen Sockel gehoben wurden. Und nie ist ein Mensch, egal welche Verdienste er haben mag, zu 100 Prozent gut.
© Text: KNA