Experte: Kirchen müssen Verhältnis zu Kolonialismus aufarbeiten
Nach den Worten des Historikers Jürgen Zimmerer sind die Verflechtungen zwischen Kolonial- und Kirchengeschichte noch nicht ausreichend ausgeleuchtet. Seit Beginn der europäischen Expansion vor mehr als 500 Jahren seien Mission und Kolonialismus strukturell „aufs engste“ miteinander verbunden gewesen, sagte Zimmerer am Dienstag der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA).
„Schon Portugiesen und Spanier wollten Mission und Gewürzhandel vorantreiben, Gold und Seelen gewinnen, wobei in diesem Zusammenhang unerheblich ist, was Vorrang hatte, und was der Legitimation diente“, erläuterte der Leiter der Forschungsstelle „Hamburgs (post-)koloniales Erbe“. „Kolonialismus brauchte die Legitimation, die die kirchliche Lehre bot, zumindest bis sie im 19. Jahrhundert von Rassenlehren abgelöst wurde. Und die Mission profitierte von den Rahmenbedingungen der europäischen Herrschaft.“
Den zu Bekehrenden habe das oft kaum eine Wahl gelassen, als sich zwischen Schwert und Bibel zu entscheiden, so Zimmerer weiter. „Das eine bedeutete den physischen Tod, das andere die Aufgabe vieler, wenn nicht aller Traditionen, und letztendlich der eigenen Identität.“
Zimmerer räumte ein, dass es in beiden Kirchen Bestrebungen gebe, die Vergangenheit aufzuarbeiten. So habe Papst Franziskus 2015 um Verzeihung für die Verfehlungen der katholischen Kirche während der kolonialen Eroberung Lateinamerikas gebeten. Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) habe 2017 eine Erklärung veröffentlicht, in der sie die Nachkommen der Opfer des Völkermordes an den Herero und Nama in der damaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika um Vergebung bat.
„Auch viele Menschen in den Kirchen leisten kritische Arbeit“, so der Historiker. „Eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit der eigenen Rolle im Jahrtausendprojekt der kolonialen Globalisierung ist das jedoch noch nicht.“