Frage: Was wäre denn eine mögliche Arbeit?
Ammann: Außerhalb von Karakosch gibt es große Ställe, die vorher Hühnerfarmen waren. Ein Drittel der Versorgung des ganzen Irak mit Hühnern und Eiern kam aus dieser Region. Das ist jetzt alles kaputt. Ich kann vielleicht in mein Haus zurückkehren, aber finde dort keine Arbeit mehr und kann meine Familie nicht ernähren. Das sind Probleme, vor denen viele Menschen zurzeit stehen. Bis diese Hühnerfarmen wieder aufgebaut sind, dauert es. Alternativ könnte man in der Zwischenzeit zum Beispiel mit weniger Aufwand ein Gewächshaus bauen, in dem man zum Beispiel Gurken anpflanzen kann. Mit so etwas könnte man schon drei Familien ernähren.
Frage: Wie optimistisch sind Sie denn, dass der Friede in der Region hält und die Menschen wirklich eine Perspektive dort haben?
Ammann: Die große Frage ist: Wie kann man in der Bevölkerung wieder Vertrauen schaffen? Es geht ja nicht nur um den materiellen Wiederaufbau, sondern um den Wiederaufbau eines Volkes, das lange Jahre zusammengelebt hat. Wie schafft man es, dass Christen, Jesiden, Schiiten, Sunniten, Kurden auf gleichem Gebiet zusammenleben können?
Ich war überrascht, den Irak insgesamt in einem noch schlechteren Zustand als bei meiner letzten Reise zu sehen. 2009 bin ich das erste Mal dorthin gereist und habe den Eindruck, dass es jedes Mal schlechter geworden ist. Dabei dachte ich: Es kann nicht mehr schlechter kommen. Ich stand in den Trümmern von Mossul und habe mich gefragt: Wie lange wird es dauern, bis diese Stadt wieder ein normales Leben führen kann?
Frage: Manche vergleichen die Situation im Irak mit der von Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg.
Ammann: Dieser Vergleich kommt sehr oft, aber er hinkt. Im Gegensatz zu Deutschland wird der Irak weder vom Westen noch von den Regionalmächten unterstützt. Die arabischen Länder bekämpfen sich ja alle gegenseitig. Ein Christ, der nach Karakosch zurückkommt und ein Haus, ein Auto und Arbeit hat – welche Perspektiven kann er seinen Kindern für die nächsten 20 oder 30 Jahre geben? Die Gefahr, dass wieder ein Krieg ausbricht und er vertrieben wird, ist nach wie vor da. Und die Kirche im Irak hat dadurch, dass die Anzahl der Christen so stark abgenommen hat, auch nicht mehr den gleichen Stellenwert wie früher.
Das Interview führte Claudia Zeisel
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