Frage: Eine Unabhängigkeit der kurdischen Regionen im Irak und in Syrien kommt nicht wirklich voran. Sei es, weil sie die irakische Zentralregierung ausbremst, sei es, weil die türkische Armee kurdische Provinzen in Nordsyrien angreift. Wie groß sind Ihrer Meinung nach die Chancen für ein unabhängiges Kurdistan?
Vogt: Kurz vor dem Unabhängigkeitsreferendum im Irak haben auch die westlichen Staaten die kurdische Regionalregierung vor diesem Schritt gewarnt. Alle westlichen Staaten halten an der territorialen Integrität des Irak fest und es ist davon auszugehen, dass man mit Blick auf Syrien die gleiche Politik verfolgen wird. Die Kurden können sich bei vielen Ländern auf Sympathien verlassen, wenn es um kulturelle und wirtschaftliche Autonomierechte innerhalb der bestehenden Staaten geht. Aber nicht, wenn es um eine vollständige Unabhängigkeit geht. Die Türkei ist bekanntlich sowieso dagegen. Das heißt, wenn alle dagegen sind, sind solche Staaten auch nicht wirklich lebensfähig.
Frage: Fühlen sich die Kurden betrogen? Schließlich waren ihre Kämpfer maßgeblich an der Zurückdrängung des IS beteiligt – auch mithilfe deutscher Waffen. Aber nachhaltig konnten sie offenbar nicht davon profitieren.
Vogt: Es hat ihnen aber auch keiner die Unabhängigkeit versprochen. Sie haben sich vielleicht selbst die Unabhängigkeit versprochen, wenn sie mit dem Westen zusammenarbeiten. Aber letztlich hat nicht nur der Westen die Kurden gebraucht, sondern die Kurden haben auch durchaus westliche militärische Unterstützung benötigt, um sich selbst gegen den IS verteidigen zu können. Die Kurden waren nicht einfach nur Söldner des Westens, um den IS zu bekämpfen – ganz ohne Eigeninteressen.
Frage: Werden die Christen in der Region diese Spannungen künftig noch stärker zu spüren bekommen?
Vogt: Ich denke, dass es in Syrien sehr heftige Spannungen gibt ab dem Moment, in dem sich das Assad-Regime stabilisiert hat. Und im Moment deutet alles darauf hin, dass Assad sich an der Macht halten wird. Bis auf die Provinz Idlib im Nordwesten, die noch von überwiegend islamistischen Gruppen beherrscht wird, und dem kurdischen Gebiet im Nordosten, kontrolliert Assad Syrien weitgehend. Man kann davon ausgehen, dass er sich jetzt erst nach Idlib wendet und danach wird der Konflikt mit den Kurden anstehen: Assad wird die Kurden bestimmt nicht freiwillig in eine Unabhängigkeit entlassen. Seit Beginn des Syrienkrieges gibt es eine Art Stillhalteabkommen zwischen Damaskus und den Kurden. Doch es wird zum Konflikt kommen und in dem Konflikt werden die Christen sich positionieren müssen. Einige Christen, die jetzt schon mit den Kurden zusammenarbeiten, werden das fortsetzen und es wird viele geben, ich schätze die Mehrheit, – auch wenn sie in den Kurdengebieten schweigen muss – die zu einem Zentralstaat Syrien halten wird.
Frage: Also wird es für die Christen in den kurdischen Gebieten Syriens künftig noch schwerer?
Vogt: Das kann sehr ungemütlich werden für Christen in der Region, weil sie dann zwischen den Stühlen sitzen zwischen Kurden und Arabern.
Von Claudia Zeisel
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