Ishmael erzählt, dass seine Eltern starben als er ein Jahr alt war. 1998 war das, auf dem Höhepunkt des Bürgerkriegs in Sierra Leone. Er wuchs bei seiner Tante auf, die 2012 an Cholera starb. Seitdem lebt Ishmael auf der Straße. Er verdient ein wenig Geld als Warenträger, ein Job, den viele seiner Leidensgenossen machen. „Für eine Meile Orangen tragen zum Beispiel brauche ich 18 Minuten und bekomme dafür 4.000 Leone“ (etwa 45 Cent), erzählt er fast mit der Akribie eines Geschäftsmannes.
Für Ishmaels Lebensunterhalt reicht das kaum. Um die Jobs rivalisieren viele der Straßenjungs, von denen die meisten in gangartigen Strukturen organisiert sind. Manche säubern früh morgens die Eingänge von Geschäften oder Marktständen und putzen Restauranttische. Andere verkaufen Waren wie Zigaretten, Süßigkeiten und Früchte oder kleine Handtücher an die verschwitzten Autofahrer in den Dauerstaus auf Freetowns Straßen. Betteln, Diebstahl und in einigen Fällen auch Prostitution gehören zum harten Überlebensalltag der männlichen Kinder und Jugendlichen, die im Schnitt 14 bis 15 Jahre alt.
„Straßenjungen erleben täglich physische und psychische Gewalt durch Gleichaltrige, Bekannte, Geschäftsleute, Passanten und sogar durch die Polizei und das Militär“, heißt es in einer Umfrage, die Don Bosco Fambul noch unter der Leitung von Direktor Lothar Wagner 2010 unter 188 Straßenjungen in Freetown durchgeführt hat.
Knapp zwei Drittel der Jungs sind aus ländlichen Gegenden in die Hauptstadt gekommen. Armut, Missbrauch und mangelnde Zuwendung sind die Hauptgründe auf die Straße zu flüchten. Und die Anzahl der Straßenkinder steigt weiter an. Durch die Ebola-Epidemie in Sierra Leone 2014 und 2015 sind landesweit 12.000 Kinder vom Tod eines für sie sorgenden Familienmitglieds betroffen. Viele Menschen haben zudem während der Krise ihre Arbeit verloren, was den wirtschaftlichen Druck auf die Familien weiter erhöht hat.