Frage: Wie bewerten Sie den sechsjährigen COMECE-Vorsitz von Kardinal Marx?
Zulehner: Kardinal Marx hat aufgrund seines sozialethischen Hintergrunds eine sehr hohe Kompetenz, sich in gesellschaftspolitischen Dingen zu bewegen. Ich glaube, dass er einer der starken COMECE-Präsidenten war. Natürlich hat er auch versucht, das Anliegen des Papstes in der Migrationsfrage mit Blick auf die osteuropäischen Kirchengebiete zu stärken. So war etwa der CCEE unter Kardinal Peter Erdö relativ restriktiv in der Flüchtlingsfrage. Hier hat Kardinal Marx schon förderlich gewirkt. Die Kirchen in Europa sind meines Erachtens auf keinem schlechten Weg.
Frage: Hat Kardinal Marx in der Flüchtlingsfrage genug getan?
Zulehner: Was er gemacht hat, war vor dem Hintergrund des Widerstands der Visegrad-Länder und der dortigen Kirchen angemessen. Marx war in dieser Sache auch nicht allein. Der Wiener Kardinal Christoph Schönborn etwa ist sehr engagiert als Brückenbauer in Richtung Osten. Dafür hat er von den ost- und mitteleuropäischen Ländern nicht nur Applaus geerntet. Ich denke, dass es in dieser Frage ein innerkirchliches Ringen gibt. Und dieses Ringen ist für Europa gesellschaftspolitisch sehr wertvoll; dabei kann die Kirche zeigen, dass sie in der Form von Kompromissen Fortschritte zugunsten der betroffenen Menschen erringen kann. Kirchliche Organisationen, die keinen Konflikt kennen, sind langweilig und politisch unbedeutend.
Frage: Wer wäre aus Ihrer Sicht der ideale Nachfolger von Kardinal Marx als COMECE-Vorsitzender?
Zulehner: Es wäre gut, jemanden zu finden, der auf dem politischen und personellen Kurs von Papst Franziskus liegt. Vielleicht jemand aus einem neutralen Land wie Österreich oder Schweden. Jemand, der in der Lage ist, Brücken zu bauen. Er sollte auch eine gewisse Persönlichkeit haben und Sprachkenntnisse, politische und dialogische Fähigkeiten, Führungs- und Durchsetzungsvermögen mitbringen. Die Vielfalt der Kirchen in Europa zusammenzuhalten und auch die Wunden in Europas derzeitiger Entwicklung zu thematisieren, ist keine leichte Aufgabe.