Frage: Welche Schwerpunkte setzt Papst Franziskus?
Heinz: Papst Franziskus stellt die armen und ausgegrenzten Menschen in den Mittelpunkt, also ganz in der Linie der vorrangigen Option für die Armen. Sie sind es, die er anspricht; ihren Glauben und ihre Nöte nimmt er wahr und ernst. Er lässt sich auf die Armen, die Kranken, die Flüchtlinge und Migranten, die Häftlinge, die Arbeitssuchenden und alle Verlierer des neoliberalen Wirtschaftssystems ein. Und er fordert alle Menschen guten Willens auf, ihm an die Ränder der Gesellschaft zu folgen und die Marginalisierten wieder in die Mitte zu holen. Dafür müssen wir die sozialen Brennpunkte, Krankenhäuser, Flüchtlingsunterkünfte und Gefängnisse aufsuchen. Wir müssen unser Leben und auch unseren Wohlstand mit den an den Rand Gedrängten teilen. Um es mit den Worten des seligen Erzbischofs Oscar Romero zu sagen: Transzendenz bedeutet, aus der Mitte des Elends selbst diese Lage zu überschreiten, den Menschen zu erheben, ihn voranzubringen und ihm zu sagen: Du bist kein Abfall. Du gehörst nicht an den Rand. Das Gegenteil ist der Fall: Du hast eine große, große Bedeutung.
Papst Franziskus interpretiert die Option für die Armen so umfassend, dass er die Kirche in seiner Enzyklika Laudato si‘ zum Anwalt der Erde macht, die unter der Ausbeutung durch die Menschheit leidet. Auch im Kollegium der Bischöfe setzt er Themen wie Familie, Jugend und Amazonas. Das sind spannungsgeladene Themen der Kirche. Er scheut sich nicht vor innerkirchlichen Konflikten.
Frage: Insgesamt lässt sich ein Haltungswechsel für das Pontifikat von Papst Franziskus feststellen. Worin besteht dieser?
Heinz: Papst Franziskus stellt im Sinne einer ganzheitlichen Pastoral den Menschen in den Mittelpunkt, wenn er zum Beispiel einen barmherzigen Lösungsweg für die leidvolle Situation von wiederverheiraten Geschiedenen in seinem Schreiben Amoris Laetitia aufzeigt. Von der persönlichen Ebene aus nimmt er die gesellschaftlichen Strukturen in den Blick, die vielen Menschen ein Leben in Würde verwehren und den respektlosen Umgang mit der Natur fördern. Er macht deutlich, dass die Kirche einen durchaus wichtigen Beitrag leisten kann, aber nicht allein agieren sollte. Er bezieht die Erkenntnisse der Natur- und Sozialwissenschaften mit ein und macht so seine Botschaft anschlussfähig und prophetisch. Indem er seinen eigenen Standpunkt relativiert, gewinnt dieser an Dynamik.
Frage: Sie haben den Papst auf seiner Kolumbienreise begleitet …
Heinz: Papst Franziskus hat in Kolumbien das Adveniat-Projekt Talitha Kum besucht. In Cartagena haben 140 Mädchen aus dem Armenviertel Afriquita einen Ort gefunden, an dem sie sich angenommen und zuhause fühlen. Ihr Alltag ist von Armut, Gewalt, sexuellen Übergriffen und zerrütteten Familienverhältnissen geprägt. Mit seinem Besuch hat der Papst unseren Einsatz für die Jugendlichen und Armen gewürdigt und hat einmal mehr seine Sensibilität für die alltäglichen – leider längst schon alltäglich gewordenen – Skandale in einer zutiefst ungerechten Welt bewiesen. Mit dem Einsatz für die Mädchen aus dem Armenviertel Afriquita leistet Adveniat mit seinen kolumbianischen Partnern einen Beitrag dazu, dass die Vision von Papst Franziskus Wirklichkeit wird, die er in seinem Grußwort an das kolumbianische Volk zu Beginn seiner Reise formulierte: Mögen eure Träume und Pläne Kolumbien Sauerstoff geben und es mit heilbringenden Utopien erfüllen!