Wirtschaftsjuristin: „Es kommt Bewegung in die Textilindustrie“
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Wirtschaftsjuristin: „Es kommt Bewegung in die Textilindustrie“

Pakistan ‐ Am 11. September 2012 brannte es in der Textilfabrik „Ali Enterprises“ im pakistanischen Karatschi. In der Fabrik ließ der deutsche Textildiscounter KiK Kleidung produzieren, die Brandschutzmaßnahmen aber waren mangelhaft. 260 Arbeiterinnen und Arbeiter starben im Feuer, Dutzende wurden verletzt. Im März 2015 haben vier Betroffene des Unglücks Klage auf Schadenersatz vor dem Landgericht Dortmund eingereicht. Der Fall wird nun geprüft. Weltkirche.katholisch.de sprach mit der Wirtschaftsjuristin für Menschenrechte, Theresa Lankes, über die Chancen, die in diesem Fall für einen Wandel in der Textilindustrie liegen.

Erstellt: 27.09.2017
Aktualisiert: 27.09.2017
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Am 11. September 2012 brannte es in der Textilfabrik „Ali Enterprises“ im pakistanischen Karatschi. In der Fabrik ließ der deutsche Textildiscounter KiK Kleidung produzieren, die Brandschutzmaßnahmen aber waren mangelhaft. 260 Arbeiterinnen und Arbeiter starben im Feuer, Dutzende wurden verletzt. Im März 2015 haben vier Betroffene des Unglücks Klage auf Schadenersatz vor dem Landgericht Dortmund eingereicht. Der Fall wird nun geprüft. Weltkirche.katholisch.de sprach mit der Wirtschaftsjuristin für Menschenrechte, Theresa Lankes, über die Chancen, die in diesem Fall für einen Wandel in der Textilindustrie liegen.

Frage: Frau Lankes, vorweg eine Frage aus Neugier: Wie kommt man als jemand, der sich mit Wirtschaft beschäftigt, dazu, sich für Menschenrechtsthemen zu engagieren?

Lankes: Ich interessiere mich schon lange dafür, wie wir die Zustände in der Welt verbessern können und habe deswegen in England internationalen Menschenrechtsschutz studiert. Unternehmen haben unglaublich viel Einfluss und Gestaltungsmöglichkeiten. Sehr häufig fällt diese Macht durch negative Auswirkungen auf Mensch und Umwelt auf. Es liegt aber an uns, die Gesetze und die Praxis der Unternehmen so zu gestalten, dass sich das ändert. Menschenrechtliche Unternehmensverantwortung ist gerade unglaublich heiß im Kommen, auch wenn das Thema noch sehr umstritten ist. Es ist spannend, an etwas zu arbeiten, was noch nicht etabliert ist und wo sich ganz viele andere leidenschaftliche Menschen finden, die auch daran arbeiten.

Frage: Haben Sie da besondere Vorbilder?

Lankes: Für mich ist die Menschenrechtlerin Inez McCormack aus Nordirland ein Vorbild. Sie hat sich die Mühe gemacht, für die Rechte von Putzfrauen in Krankenhäusern einzutreten und eine Gewerkschaft für sie zu gründen. Da, wo sich jeder dachte: „Es macht keinen Unterschied und die Leute sind eh zu dumm“, ist sie hingegangen und hat mit den Menschen geredet. Wenn Putzpersonal in einem Krankenhaus nämlich mal in Streik tritt, dann hat das eine sehr starke Wirkungsmacht. Das gleiche gilt für die Textilindustrie: Wenn die Zulieferer von Textilien streiken würden, hätten unsere Unternehmen ein riesiges Problem. Das heißt, dass eigentlich viel Macht bei den Arbeitnehmern liegt und es eine Organisationsfrage ist: Wie können Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen lernen, sich so zu organisieren, dass die verantwortlichen Unternehmen ihrer Verantwortung gerecht werden müssen? Und wie können Unternehmen ihre Geschäftsprozesse so verändern, dass sie Auswirkungen auf Menschenrechte und die dafür notwendige Sorgfalt beinhalten?

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Frage: Sie haben sich intensiv mit dem Textildiscounter „KiK“ und dem Fabrikbrand in Pakistan 2012 beschäftigt. KiK war Auftraggeber für die pakistanische Textilfabrik „Ali Enterprises“. Bei dem Brand dort kamen rund 260 Arbeiter ums Leben und Dutzende wurden verletzt. Was ist da schief gelaufen?

Lankes: In Pakistan war es so, dass in einer ganz normalen Fabrik mit Notausgängen und Fenstern die Notausgänge geschlossen und die Fenster vergittert waren. Dasselbe hätte auch hier passieren können: Nach Recherchen der ARD-Sendung „Panorama“ aus dem Jahr 2013 gab es auch in Deutschland KiK-Filialen, in denen Notausgänge verschlossen waren. Was jetzt letztlich der Grund für den Brand in der Fabrik in Pakistan war, ist zweitrangig – Unglücke passieren immer. Aber wir wissen doch mittlerweile, welche Sicherheitsvorkehrungen an Arbeitsplätzen zu treffen sind. Und speziell an diesem Arbeitsplatz in Pakistan, der letztlich vor allem deshalb existierte, weil KiK dort seine „Okay-Jeans“ produzieren ließ, wurden diese grundlegenden Feuerschutzmaßnahmen nicht getroffen. Dabei ist Feuerschutz in Pakistan nichts Exotisches, auch dort müssen die Maßnahmen eingehalten werden.

Frage: Wie werden die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen?

Lankes: Aktuell klagen vier Betroffene des Brandes stellvertretend für eine Betroffenenorganisation von 200 Familien gegen KiK. Juristisch gibt es zunehmend den Konsens, dass ein Unternehmen, das zu vermutlich hundert Prozent Auftraggeber ist, Verantwortung trägt. Auch für das Unterlassen – etwa von Feuerschutzmaßnahmen – muss dieses Unternehmen haftbar gemacht werden. Aus EU-Kartellrecht lässt sich nämlich sagen: Die beauftragte pakistanische Firma „Ali Enterprises“ existierte praktisch nur für KiK, beide Firmen waren eine wirtschaftliche Einheit.

Oder man nehme den deutschen Aktionsplan für Wirtschaft und Menschenrechte, der deutsche Unternehmen mit mehr als 500 Angestellten dazu anhält, bei Zulieferern wie „Ali Enterprises“ nachzuschauen, inwiefern es etwa Feuerschutzmaßnahmen einhält. Auch das britische Recht, das bei der Auslegung von pakistanischem Recht eine große Rolle spielt, sagt ganz klar: Hier ist eine hinreichend nahe Beziehung zwischen Auftraggeber und -nehmer. Hier existiert Verantwortung und Haftbarkeit für Unterlassen. Es geht nicht darum, dass KiK etwas aktiv gemacht hat, sondern um das Unterlassen der Sorgfaltspflicht, dafür zu sorgen, dass diese Basis von Feuerschutz existiert – und zwar nicht nur auf dem Papier.

Bild: © Kirsten Breustedt Fairer Handel Theresa Lankes

Frage: Momentan liegt der Fall KiK noch einem Gutachter vor. Der Ausgang des Verfahrens ist also noch offen. Welchen Symbolwert hätte eine tatsächliche Verurteilung von KiK für die Textilindustrie?

Lankes: KiK ist Branchenführer und aus betriebswirtschaftlicher Sicht sehr erfolgreich. Ich denke, dass es viele Textildiscounter und -hersteller gibt, die gerne so gut wären wie KiK. Wenn das Gutachten also sagt, dass eine Klage gegen KiK nach pakistanischem Recht und vor einem deutschen Gericht möglich ist und wenn die Klage zugunsten der Kläger entschieden wird, würde das die Billigware Mensch weniger billig, fast teuer machen. Immerhin haben wir hierzulande NGOs wie das European Center for Constitutional and Human Rights (EECHR) und Vereine, wie seit über 40 Jahren die Fair-Handels-Bewegung. Sie arbeiten dafür, dass Menschen überall ihre Würde genießen können. Verliert KiK diesen Fall, bedeutet das eine unglaubliche Chance für Betroffene weltweit – und enorme Kostensteigerungen bei Unternehmen, die ihren Erfolg der Billigware Mensch verdanken.

Frage: Wie optimistisch sind Sie, dass das passiert?

Lankes: Es gibt keinen verlorenen Fall. Wenn der Fall nicht durchgeht, das Gutachten negativ ist, es zu keiner Klage kommt, haben wir immerhin gezeigt: es gibt eine massive Rechtslücke. Wir haben noch kein Unternehmensstrafrecht in Deutschland. Noch bezieht sich das bisschen einschlägige deutsche Recht ja nur auf das Handeln deutscher Unternehmen in Deutschland mit deutschen Opfern und Klägern. Aber was ist mit multinationalen Unternehmen aus Deutschland, die mit ihren Tochterunternehmen oder Zulieferern im Ausland gegen Regeln verstoßen? Das Grundprinzip der beschränkten Haftung, dass ein Unternehmen strikt nur für sein eigenes Handeln verantwortlich ist, wird auch dadurch erschüttert, dass wir offensichtliche Ungerechtigkeit sehen. Sollte das Gutachten negativ ausfallen, dann würde das der Sache auf lange Sicht trotzdem dienen. Wir sehen international eine Bewegung zu mehr Unternehmensverantwortung, auch KiK hat reagiert, ist Mitglied im Textilbündnis geworden, hat in einem davon unabhängigen freiwilligen, internationalen Dialogverfahren versprochen, 5,15 Millionen US-Dollar an die Betroffenen in Pakistan zu zahlen. Es kommt also Bewegung in die Textilbranche.

Mehr Infos zum Thema Fairer Handel bei Misereor.

Das Interview führte Claudia Zeisel.

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