Das sei vor allem ein Phänomen der Städte, erklärt Prasad. „Legen Sie eine gefährliche Schlange auf einen glatten Boden, und sie verliert ihre Kraft, da sie das nicht kennt. Ebenso kommen Kasten in Städten durcheinander.“
Der Nachfolger des amtierenden Präsidenten Pranab Mukherjee wird von den insgesamt knapp 5.000 Abgeordneten der Parlamente des Landes und der Bundesstaaten gewählt. Egal wie es ausgeht, wird Indien seinen zweiten Dalit-Präsidenten nach K.R. Narayanan, der das Amt von 1997 bis 2002 innehatte, bekommen.
Für Prasad ist das vergleichbar mit einem etwaigen zweiten schwarzen US-Präsidenten nach Barack Obama. Dass erstmals zwei Dalits gegeneinander antreten, sieht er als politisches Kalkül. Kovind, der Kandidat der hindu-nationalistischen Regierungspartei BJP, stamme aus einer kleinen Unterkaste namens Kori. Es gehe darum, die deutlich größere Unterkaste der Chamar auszustechen. Diese habe das Kastensystem immer abgelehnt und sei zum Buddhismus übergetreten.
Die Partei wolle die Stimmen der anderen Dalits abgreifen und sich mit ihrem Dalit-Kandidaten zudem als fortschrittlich darstellen. „Die BJP hat sich entschieden, die Gemeinde zu spalten“, erklärt Prasad. „Und die Opposition ist in diese Falle getappt, indem sie eine Chamar-Kandidatin aufgestellt hat.“
Für die Dalits in Shabbirpur sind die Politik in Neu Delhi und das Großstadtleben weit weg von ihrem Alltag. „Sie kamen mit Schwertern und Eisenstangen bewaffnet am helllichten Tag, haben uns geschlagen und unsere Häuser angezündet“, erzählt Dal Singh vom Angriff des Mobs. Sein Haus ist ein einziger Trümmerhaufen mit verstreuten, ramponierten Möbeln. „Die Täter laufen noch immer frei herum.“
Trotzdem kommt auch in dem Ort im Bundesstaat Uttar Pradesh bei den Dalits Selbstbewusstsein auf. Die jüngere Generation ist gebildet und will sich gegen die Unterdrückung wehren. „Früher durften wir höheren Kasten nicht in die Augen schauen“, erzählt der Mittzwanziger Srikanth, der in Shabbirpur einen Holzhandwerk-Betrieb hat. „Jetzt, da wir aufsteigen und uns bilden, begegnen wir ihnen auf Augenhöhe. Sie können es nicht ertragen, ihre Vorherrschaft zu verlieren.“ Er fügt hinzu: „Sie müssen sich aber daran gewöhnen.“
Von Nick Kaiser und Siddhartha Kumar, dpa
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