Frage: Kürzlich wurde eine Studie veröffentlicht, wonach die Hilfsbereitschaft für Flüchtlinge in Deutschland abnimmt. Eine Bertelsmann-Studie kam zu dem Ergebnis, dass die Skepsis gegenüber Migration wächst. Wie beurteilen Sie die Lage? Wie ist es um das Engagement der Kirchen beziehungsweise der Ehrenamtlichen in diesem Bereich bestellt?
Heße: Zunächst einmal finde ich es beeindruckend, dass sich seit dem Sommer 2015 – teilweise sogar schon länger – Tausende Initiativen unermüdlich für die Anliegen schutzsuchender Menschen einsetzen. Nach wie vor gibt es in Kirche und Zivilgesellschaft zahlreiche Ehrenamtliche, die sich mit viel Herzblut engagieren. Dass auf eine Phase der Begeisterung bisweilen auch eine Phase der Ernüchterung folgt, liegt in der Natur der Dinge.
Dazu kommt: Die Menschen machen die Erfahrung, dass das Zusammenleben nicht immer reibungslos funktioniert; dass echte gesellschaftliche Teilhabe ein mühsames Unterfangen ist. Zugleich berichten mir kirchliche Basisinitiativen, dass so manches politische Signal mit zur Entmutigung beiträgt. Wenn etwa gut integrierte Migranten abgeschoben werden, erleben dies ehrenamtlich Engagierte als Entwertung ihrer Arbeit. Wir haben es also mit mehreren unterschiedlichen Phänomenen zu tun, die skeptische Tendenzen insgesamt stärker werden lassen.
Frage: Manche Menschen sehen Taufen muslimischer Flüchtlinge kritisch und vermuten Kalkül. Welche Erfahrungen haben Sie gemacht?
Heße: Jeder, der sich Christus anschließen will, ist uns willkommen. Wie könnte es denn anders sein! Die Taufe setzt in der katholischen Kirche jedoch ein längeres Katechumenat voraus, also einen Prozess, in dem ein Mensch mit der Lehre und dem Leben der Kirche vertraut wird. Angesichts dieses Vorbereitungsweges, der in der Regel ein Jahr dauert, ist ein Missbrauch des Taufbegehrens, etwa um die Chancen in einem Asylverfahren zu erhöhen, auch so gut wie ausgeschlossen.
Frage: Wie ist Ihre Position in der Debatte über den Familiennachzug?
Heße: Aus kirchlicher Sicht ist die Einheit der Familie ein hohes Gut. Regelungen, die den Familiennachzug erschweren oder gänzlich verhindern, sind nicht nur ethisch fragwürdig, sondern schaden letztlich auch der Integration. Ich hoffe deshalb, dass die Einschränkung des Familiennachzugs im Falle von subsidiär Geschützten rasch wieder zurückgenommen wird.
Frage: Was sagen Sie zu den Ergebnissen einer jüngst vorgestellten Studie, wonach Juden einen wachsenden Antisemitismus in Deutschland beklagen?
Heße: Die Bischöfe haben nie die Augen davor verschlossen, dass Zuwanderer aus dem Nahen und Mittleren Osten den in ihren Gesellschaften verbreiteten Antisemitismus zu uns mitbringen. In den Leitsätzen der Bischofskonferenz zum kirchlichen Engagement für Flüchtlinge ist ausdrücklich davon die Rede. Antisemitismus ist mit den Werten unseres Landes unvereinbar. Er muss bekämpft werden, gleichgültig aus welcher politischen oder religiösen Richtung er kommt. Gerade die gemeinsame Stimme der Religionen ist hier wichtig.
Ich bin deshalb froh, dass es Programme von Christen, Juden und Muslimen gibt, die Ressentiments und Hass überwinden helfen. Ein gutes Beispiel ist die Initiative „Weißt du, wer ich bin?“, in der sich Gläubige aller drei Religionen gemeinsam für geflüchtete Menschen engagieren und sich gegenseitig besser kennenlernen.
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