Frage: Welche Veränderungen sind nun unter Franziskus spürbar?
Boff: Vieles ist anders geworden. Denn er ist nun mal kein europäischer Papst, sondern kommt aus der Peripherie – aus der kolonialisierten Kirche, die ein anderes soziales und kirchliches Milieu hat. Es ist eine Kirche, die an sozialer Gerechtigkeit sehr interessiert ist und die die Option für die Armen ernstgenommen hat. Diese Vision hat Franziskus ins Zentrum der Kirche gebracht. Daher betont er stets, dass wir die zwei Schreie hören müssen: den Schrei der Armen und den Schrei der Erde. Seine Enzyklika betont ja, dass wir diese beiden Schreie zusammen hören müssen – denn beide werden unterdrückt und müssen befreit werden. In diesem Sinne hat er eine andere Atmosphäre gebracht, mehr Hoffnung, mehr Einfachheit und nicht so sehr Lehre und Disziplin. Eher ein Zusammentreffen mit Jesus.
Dazu kommt das Thema Barmherzigkeit. Er hat einen Satz gesagt, der uns Theologen zum Nachdenken bringt: Es gibt keine immerwährende Verdammung. Es gibt die Gottesgerechtigkeit, aber sie wird durch die Barmherzigkeit überwunden. Das bringt eine Erleichterung für so viele Christen, die Angst vor der Hölle haben. Der Papst hat diese neue Atmosphäre gebracht – fast eine Frühlingsatmosphäre.
Frage: Gleichzeitig leben wir in einer Welt voller Konflikte, die auch religiöse Elemente haben. Was kann Papst Franziskus dabei bewirken?
Boff: Papst Franziskus hat ein religiöses und zugleich politisches Profil. Religiös im Sinne seiner Offenheit, die Kirche als eine Art Kriegslazarett anzusehen: offen für alle Verwundeten, egal ob Muslim oder Christ. Politisch gesehen setzt er sich ständig für Dialog und Frieden ein. Er ist damit ein Referenzpunkt für die Politik. Es gibt einen Mangel an Propheten, an profilierten Personen, die für die Welt sprechen können. Neben dem Dalai Lama ist Franziskus eine der Personen, die Licht in die Welt bringen.
Frage: Trotzdem – wir erleben große Gegensätze, der Papst sagt sogar, dass wir vielleicht vor dem Dritten Weltkrieg stehen.
Boff: Wir sind in einer Übergangsphase, von einer alten Welt in eine neue mit planetarischem Bewusstsein. Wir sehen, dass wir nur ein einziges, gemeinsames Haus haben und dass wir alle gemeinsam dafür verantwortlich sind. Die Umweltenzyklika „Laudato si‘“ ist in diesem Sinne geschrieben, um diese Mutter Erde zu bewahren. Die Enzyklika richtet sich an alle Welt mit der Botschaft: Wenn wir zusammenstehen, können wir das Schlimmste verhindern.
Von Thomas Milz Katholische Nachrichten-Agentur (KNA)
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