Frage: In Ihrem Erzbistum liegt der Ort Schengen. Mit der Konzertierten Aktion kritisieren Sie, dass die Schließung der Grenzen im Sommer 2015 ein Rückfall in die Renationalisierung gewesen sei. Wie sehen Sie als „Schengen-Bischof“ diese Grenzschließungen?
Hollerich: Ich habe die Zeit der Grenzschließungen ja noch erlebt – auch wenn wir damals immer wussten, wie wir durch den Wald bei Vianden nach Deutschland kamen … Aber wie schön ist es, dass wir keine Grenzen mehr haben! Der Ruf nach Grenzkontrollen ist etwas, das ich nicht verstehe. Es ist ganz klar, dass das politische Problem der Flüchtlinge nicht national, sondern europäisch gelöst werden muss. Dazu gehört auch eine starke europäische Stimme in der Außenpolitik, die sich vermehrt gegen die Fluchtgründe einsetzt und in Kriegsgebieten wie dem Irak und Syrien für Gerechtigkeit und Frieden einsetzt. Das bedeutet auch, kommende Konflikte gar nicht erst aufkochen zu lassen. Wenn man etwa die Wasserknappheit bedenkt, müssen wir jetzt schon dafür eintreten, dass Wasser ein gemeinsames Gut der Menschheit ist und nicht kommerzialisiert werden darf.
Frage: Sie sagen, wir brauchen eine europäische Lösung für die Flüchtlingsfrage. Da sind die Ergebnisse bislang ja eher ernüchternd.
Hollerich: Die sind mager, es ist erschreckend zu sehen, wie man wieder in nationale Interessen zurückfindet. Ich glaube, dass man Deutschland sehr achten muss für seine Flüchtlingspolitik und die Offenheit, die die deutsche Regierung gezeigt hat. Damit ist sie ein Vorbild für andere Regierungen.
Frage: Wenn man aber zurückblickt in die Zeiten, als vor allem Länder wie Italien und Griechenland von der Flüchtlingsproblematik betroffen waren, da hat Deutschland ja noch sehr zurückhaltend agiert.
Hollerich: Das stimmt. Wir können nicht die Italiener und Griechen allein mit den Flüchtlingen sitzen lassen. Ich bin froh, dass mein Land Luxemburg seinen, wenn auch kleinen, Anteil aufgenommen hat. Europa ist ein Europa der Solidarität – oder Europa existiert nicht. Wenn wir uns nur auf Europa beziehen, wenn wir davon finanzielle Vorteile haben, dann klappt Europa nicht. Viele Flüchtlinge kommen zu uns, weil sie hier ein Traumland der Freiheit sehen. Das ehrt Europa.
Frage: Die Verteilung der Flüchtlinge war die eine, ihre Integration die zweite Herausforderung. Denken Sie, dass die bisherigen Bemühungen der Länder ausreichen?
Hollerich: Ich glaube nicht, dass das ausreicht. Wenn ich die Luxemburger Situation betrachte, dann sehe ich kritisch, dass viele Flüchtlinge doch sehr oft in großen Lagern untergebracht wurden, wo recht wenig Integration geschieht. Das Problem sind hier die hohen Mietkosten. Zwar bekommen die Flüchtlinge recht viel Geld, aber davon eine Wohnung zu finden, ist doch sehr schwer. Was mehr Integration bringt, ist das Engagement unserer Pfarreien.
Frage: Was macht es mit diesen Pfarreien, die sich in der Flüchtlingsarbeit engagieren?
Hollerich: Sie werden wieder lebendiger; es gibt dort Kontaktpersonen für Flüchtlinge, Sprachkurse, alles Mögliche. Wir leben Christentum! Das hilft den Pfarreien, sich wieder bewusst zu werden, was es bedeutet, Christ zu sein. Einige Menschen warnen davor, Menschen mit islamischem Hintergrund aufzunehmen. Ich kann mich nicht erinnern, irgendwo in der Heiligen Schrift gelesen zu haben, man solle nur den Menschen helfen, die so sind wie wir. Was wir aber auch brauchen, ist eine geregelte Zuwanderung nach Europa.
Das Interview führte Michael Merten (KNA)
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