Frage: Frau Dr. Kleck, Rumänien erlebt gerade die größten Massenproteste seit der Wende. Wie erleben Sie diesen historischen Moment?
Kleck: Ich freue mich natürlich schon, weil die Menschen anfangen, für ihre Rechte und ihr Leben im Land zu kämpfen, anstatt es zu verlassen. Es ist ja positiv, dass die Korruptionsbekämpfung im Land überhaupt begonnen hat, und das wollen die Menschen sich jetzt nicht einfach wieder nehmen lassen. Ganz unerfahren mit Protesten sind sie ja auch nicht, denn nach dem Disco-Brand im Oktober 2015 waren es ja auch Massenproteste, die die Regierung zum Rücktritt zwangen. Aber das Ausmaß dieses Mal ist schon erstaunlich. Auch, dass die Proteste nicht nur in Bukarest und Timisoara stattfinden, Städten, die für Proteste bekannt sind, sondern auch in vielen anderen Städten des Landes. Und dieses Mal mischen sich auch die Kirchen ein.
Frage: Inwiefern?
Kleck: Insofern, als auch der orthodoxe Patriarch gesagt hat, die Korruptionsbekämpfung müsse weitergehen und er dieses Dekret indirekt kritisiert hat. Auch die katholische Kirche hat ihre Unterstützung dafür ausgesprochen, dass sich die Menschen gegen Korruption wenden. Zugleich drückte sie die Hoffnung aus, dass die Proteste friedlich bleiben. Die Katholische Aktion als Laienverband hat zu Gebeten für Rumänien aufgerufen. Also es ist relativ klar, dass die Regierung im Moment ziemlich alleine da steht. Die katholische Kirche war bislang eher zurückhaltend, weil sie eine Minderheitenkirche ist und auch die orthodoxe Kirche als Staatskirche stand bislang eher hinter der Regierung. Aber das Dekret, das einfach so eindeutig versucht, Politiker freizusprechen, das war zu viel.
Frage: Das Dekret hat das Fass also zum Überlaufen gebracht.
Kleck: Ganz genau. Man ist ja eigentlich schon daran gewöhnt, dass die Leute in der Regierung Dreck am Stecken haben und dass viel über Absprachen im Hinterzimmer und Korruption läuft. Da ist man relativ abgehärtet. Gleichzeitig sind die Menschen in Bezug auf Korruption auch sensibler geworden, nicht zuletzt beim Disco-Brand, der ohne die erkaufte Brandschutzgenehmigung hätte verhindert werden können. Die Korruptionsbekämpfung betrifft den Alltag der Menschen. Gleichzeitig lässt sie aber noch große Interpretationsspielräume zu, sodass manche Bürgermeister sich nicht mehr trauen, Beschlüsse zu machen, weil sie in dem noch relativ wackeligen Rechtsstaat in Rumänien nicht wissen, ob diese hinterher als Gesetzesbrüche interpretiert werden könnten. Es herrscht allgemein eine große Unsicherheit darüber, was legal ist und was illegal. Klar ist: Dass sich da jetzt die großen Fische freikaufen wollen, empfinden viele als unverschämt.