Tavares: Die Probleme aus den Zwangsvertreibungen im Zuge der WM sind gelöst. Wir als Kirche begleiten solche Vorgänge sehr intensiv. Wenn schon gar kein Weg an solchen Umsiedlungen vorbeiführt, dann muss es so menschenwürdig wie möglich geschehen. Die Menschen werden ja nicht nur aus ihren Häusern vertrieben – sondern auch von ihrer Familie getrennt, von ihrem Umfeld, ihrer Arbeit, ihrem hart erarbeiteten spärlichen Besitz. Das kann ihnen die Regierung nicht zurückgeben. Umso wichtiger, dass die Kirche vor Ort ist und die Menschen begleitet und ihre Interessen vertritt.
Frage: Nennen Sie ein Beispiel.
Tavares: Die Gemeinde Vila Autodromo im heutigen Olympia-Zentrum etwa. Das war eine offiziell anerkannte Gemeinde, keine einfache Ansammlung von Häusern. Trotzdem wurden die Menschen für die Baustellen des Olympischen Parks vertrieben. Es gab viele Demonstrationen und Proteste, teilweise auch gewalttätig. Mittlerweile sind so viele vertrieben, dass nur noch eine Handvoll Menschen dort leben. Die Kirche wurde noch nicht zerstört – und sie bleibt auch. Die Verbliebenen haben die Angebote der Regierung nie angenommen – und dank ihrer Beharrlichkeit jetzt die Zusage bekommen, dass sie bleiben dürfen.
Frage: Fällt das auch in Ihren Job als Olympia-Pfarrer? Oder sind dafür die Seelsorger vor Ort zuständig?
Tavares: Die ganze Erzdiözese hat die Aufgabe, diese Gemeinde zu stärken. Der Priester der Pfarrei, aber auch Kardinal Orani Tempesta war mehrfach vor Ort. Ich als Olympia-Pfarrer kann vielleicht durch mein Amt etwas mehr Druck aufbauen als andere Priester. Aber Vila Autodromo ist nicht meine Gemeinde; ich bin nicht jeden Tag vor Ort. Dennoch: Menschen sind nicht nur eine Liste von Aufgaben, eine To-do-Liste, die man abarbeiten kann.
Frage: Apropos To-do-Liste: Was sind Ihre wichtigsten Aufgaben als Olympia-Pfarrer?
Tavares: Zu den wichtigsten Aufgaben gehören die Organisation des interreligiösen Zentrums im Olympia-Park und die sozialen Projekte der Erzdiözese, etwa die Kampagne „Rio bewegt. Uns“ mit Hilfswerken wie Adveniat. Zudem bieten wir den Touristen und Besuchern die Möglichkeit, ihren Glauben in ihrer Sprache zu leben. Das bedeutet, zahlreiche Gottesdienste über den Tag und an verschiedenen Orten zu organisieren. Dazu kommt die Betreuung einer Gruppe von etwa 400 Jugendlichen, die durch die Straßen laufen und dort auf eine lockere Art und Weise evangelisieren, mit den Menschen ins Gespräch kommen.
Frage: Sehen Sie sich da in Konkurrenz zu den teils ziemlich offensiven Praktiken evangelikaler Gemeinschaften?
Tavares: Unsere gemeinsame Botschaft soll sein, dass die Olympischen Spiele Frieden bringen. Und das funktioniert solange, wie jeder dem anderen seinen Platz lässt. Die, die sich freiwillig zum interreligiösen Zentrum gemeldet haben, sind sehr offen anderen Glaubensrichtungen gegenüber. Im Kontext von Olympia funktioniert die Zusammenarbeit.
Frage: Was macht Ihnen denn als Olympia-Pfarrer am meisten Sorge?
Tavares: Zwei Dinge – und davon besonders die Sicherheit in Rio. Eine Stadt, die sonst geprägt ist von großer Unsicherheit, wird während der Spiele eine der sichersten Städte der Welt sein. Allerdings schauen wir sehr besorgt auf die Zeit danach. Werden die Sicherheitsvorkehrungen anhalten? Die Infrastruktur wird ja bleiben: die neuen Straßen, die neue Metrolinie, die Sportstätten; das ist gut. Das andere große Problem ist der Umweltschutz – vor allem die Wasserqualität. Es wurde ja versprochen, dass sie sich bessert; aber da sind wir mittlerweile sehr skeptisch.
Von Alexander Brüggemann (KNA)
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