
Fackel im Sturm
Indigene ‐ Auf seinem Weg nach Rio de Janeiro passiert das Olympische Feuer derzeit Brasiliens Amazonas-Gebiete. Zugleich gehen in der Region die Landkonflikte zwischen Indigenen und Weißen weiter. Der Indigenenrat CIMI zeichnet ein düsteres Bild - trotz Olympia.
Aktualisiert: 21.06.2016
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Auf seinem Weg nach Rio de Janeiro passiert das Olympische Feuer derzeit Brasiliens Amazonasregion. Trotz der Fernsehbilder von lächelnden, die Olympia-Fackel tragenden Indigenen stehe es schlecht um Brasiliens Urvölker, klagt der katholische Indigenenrat CIMI. Zug um Zug würden ihre Rechte untergraben. Im Süden des Amazonasgebietes, einem der nächsten Ziele des Olympischen Feuers, kam es jüngst erneut zu gewaltsamen Landkonflikten.
Mit einem Lächeln reckt Raimundo, Chef des kleinen Dorfes der Dessana-Indigenen, die Olympische Fackel in die Höhe. Zuvor hatte er das Feuer aus Griechenland in seiner Sprache willkommen geheißen. „Unsere oberste Gottheit ist die Sonne, deshalb mögen wir die Symbolik des Fackelfeuers sehr“, wiederholt Raimundo in die Mikros. Die Dessana sind stolz, die indigenen Völker am mächtigen Fluss Rio Negro bei dem Fackellauf quer durch Brasilien zu repräsentieren. Während Kinder Selfies mit der Fackel schießen, kommentiert ein englischer Reporter in seine Kamera: „Die Fackel verlässt nun die Indigenen, doch wie sieht ihre Zukunft aus?“
„Die Situation ist zum Verzweifeln“
„Die Situation der Indigenen im Amazonasraum ist zum Verzweifeln“, sagt CIMI-Präsident Dom Roque Paloschi der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). „Ihre Länder werden von Holzhändlern, Goldsuchern und Bio-Piraten geplündert. Dazu kommen die großen Infrastrukturprojekte der Regierung, wie Staudämme, sowie das vordringende Agrobusiness, das ihnen ihre Rechte nimmt.“ Auch bei Gesundheit und Bildung der Indigenen herrsche Chaos, so Paloschi.
Die Dessana sind vor 15 Jahren aus der nördlichen Grenzregion zu Venezuela und Kolumbien gekommen. Dort flohen sie vor Drogenbanden und Gewalt. Hier, rund 20 Kilometer von der Urwaldmetropole Manaus entfernt, leben sie vom internationalen Urwaldtourismus. Die Landesregierung in Manaus tue jedoch nichts für sie. Und da ihr Gebiet eine Umweltschutzzone sei, dürften sie weder Lebensmittel anbauen noch im Fluss fischen. Aber immerhin könnten sie in Frieden leben.
UN-Sonderberichterstatterin warnt vor Ethnozid
Es geht nicht allen Indigenen so gut wie den Dessana. Erst im März hatte die UN-Sonderberichterstatterin für die Rechte indigener Völker, Victoria Tauli-Corpuz, Brasiliens Regierung auf das „potenzielle Risiko eines Ethnozids an den indigenen Völkern“ in Brasilien hingewiesen. Zuvor war sie durch den südlichen Amazonas-Bundesstaat Mato Grosso do Sul gereist, eine Konfliktzone im Kampf um das indigene Land. Laut CIMI wurden dort zwischen 2003 und 2014 insgesamt 390 Indigene ermordet. Tauli-Corpuz forderte Brasiliens Regierung auf, „den Menschenrechtsverletzungen ein Ende zu setzen“ und die Hintermänner vor Gericht zu bringen.
Passiert ist nichts. Vor einigen Tagen wurde in dem Bundesstaat ein Indigener bei einem Überfall weißer Siedler auf ein Lager der Guarani-Kaiowa getötet, sechs weitere wurden verletzt. Seit Jahren wartet das Volk auf die Zuteilung seines angestammten Landes. Doch Brasiliens Politik ist gelähmt und unwillig. Mitte Mai wurde Präsidentin Dilma Rousseff suspendiert. Im neuen Kabinett von Interimspräsident Michel Temer sitzen einflussreiche Vertreter des Agrobusiness.
Zudem diskutiert der Kongress über den Verfassungszusatz PEC 215, der die Landansprüche indigener Völker beschränken und die staatliche Indigenenbehörde FUNAI zugunsten des Kongresses entmachten soll. Brasiliens Bischofskonferenz brandmarkte den PEC 215 vergangene Woche als „tödlichen Schlag gegen die Rechte der indigenen Völker“.
Kein indigener Athlet bei Olympia
Dass die Olympia-Fackel mit ihrer Friedensbotschaft vor diesem Hintergrund Positives bewirken könne, glaubt Paloschi nicht. „Der Sport hat zwar einen integrativen Charakter, er wertet Völker und Gemeinschaften auf. Aber leider werden die Indigenen in Brasilien als primitiv angesehen, ihre Kultur als armselig und der der Weißen unterlegen.“
Nach einer 100-tägigen Reise durch Brasilien wird die Fackel am 5. August in Rio de Janeiro ankommen. Bei den zweiwöchigen Spielen (5. bis 21. August) wird kein indigener Athlet Brasilien repräsentieren. Die aussichtsreichsten Kandidaten, drei Bogenschützen aus Amazonien, schieden vor wenigen Wochen in der letzten nationalen Qualifikationsrunde aus.
Von Thomas Milz (KNA)
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