Die Stadtverwaltung darf zurück, die Bürger nicht
Denn der Evakuierungsbescheid für das Dorf gilt weiterhin; die Werte sind noch viel zu hoch. Doch es gibt eine Ausnahme: Die Stadtverwaltung darf zurück – die Bürger noch nicht. Diese Karte will Bürgermeister Matsumoto jetzt im August ziehen und mit gutem Beispiel vorangehen. Die Strahlung mache ihm nur „ein bisschen“ Sorge – sagt er.
Viele der einstigen Bauern von Katsuaro haben inzwischen auch schon eine neue Einkunftsquelle. Die Hälfte der früheren Agrarflächen des Dorfes hat Tepco gepachtet, die Betreiberfirma von „Fukushima I“. Hier werden die gefürchteten schwarzen Säcke gelagert, die in immer mehr Dörfern in und um die 20-Kilometer-Zone zu Abertausenden gestapelt werden. Sie enthalten jene Erde, die den Bewohnern immer so wichtig gewesen ist. Seit Jahren wird die verseuchte Krume aufgenommen und verpackt. Einen sicheren Ort für so viel radioaktives Material kann es nicht geben. So ist die verbotene Zone zum Land der schwarzen Säcke geworden. Die Folgearbeiten könnten Schätzungen zufolge noch 30 bis 40 Jahre andauern.
Obwohl noch immer 29 Dorfbewohner von Katsuaro für Tepco arbeiten: „Die Haltung zur Atomkraft hat sich um 180 Grad gedreht“, sagt Bürgermeister Matsumoto. Unterdessen versucht die Regierung immer noch, so viel Unmut und Kritik wie möglich unter der Decke zu halten. Schließlich ist vor einigen Tagen das vierte von einst 58 AKWs wieder ans Netz gegangen; die chinesische Importkohle kommt Japans Wirtschaft teuer zu stehen.
Tokios Erzbischof: „Wir haben alle eine Mitverantwortung“
Die atomfreundliche Regierung von Ministerpräsident Shinzo Abe fühlte sich 2013 sogar bemüßigt, ein „Gesetz zum Schutz besonders gekennzeichneter Staatsgeheimnisse“ zu erlassen. Kritiker sehen darin den Versuch, Berichterstatter über den Fukushima-Skandal einzuschüchtern: über die erhöhte Suizidrate und über Folgekrankheiten; über Einsamkeit und eine Multiplikation psychischer Störungen unter den Evakuierten. Vor allem aber: über die Pannen bei Tepco und den zuständigen Ministerien in jenem verhängnisvollen März vor fünf Jahren.
Besonnene Zeitgenossen versuchen unterdessen, den Blick auf die Verantwortlichkeiten zu weiten. So begrüßt zwar Tokios katholischer Erzbischof Peter Okada den kürzlich angekündigten Prozess gegen drei Verantwortliche der Fukushima-Betreiberfirma Tepco. Allerdings trügen nicht sie allein die Schuld an der Katastrophe. „Hier im Ballungsraum Tokio beziehen wir alle unseren Strom von Tepco. Wir leben in ziemlichem Komfort.“ Jeder einzelne, der diese Energie verbrauche, trage Mitverantwortung. „Unser bequemes Leben“, so Okada, „ist auch durch das Opfer der Menschen von Fukushima gekauft worden“.
Von Alexander Brüggemann (KNA)
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