Frage: Und die, die bereits geflohen sind?
P. Endashaw: Es gibt ganz einfache Erfahrungswerte, die wir zum Beispiel im Südsudan gemacht haben. Wenn die Menschen einen dauerhaften Frieden und die Hoffnung auf ein gutes Leben sehen, dann sind sie bereit, zurückzugehen. Nach der Unabhängigkeit 2011 gingen die Flüchtlinge aus Uganda, aus Kenia, aus Äthiopien zurück nach Hause. Sie waren wirklich fest entschlossen, ihre alte Heimat wiederaufzubauen. Sie ließen sich in ihren zerstörten Dörfern nieder, und wollten wieder dort leben, wo ihre Vorfahren begraben liegen.
Frage: Schauen wir auf das nächste große Flüchtlingsland: Kenia.
P. Endashaw: Dort gibt es zwei große Flüchtlingslager: Dadaab und Kakuma. Wegen der vielen Neuankömmlinge aus dem Südsudan ist Kakuma auf 200 000 Menschen angewachsen. Man hat jetzt gerade den Bereich „Kakuma 5“ eröffnet, um sie alle unterzubringen.
Frage: In Kenia leben auch viele Somalier. Zugleich wächst in Kenia die Furcht vor islamistischem Terror. Viele sehen einen Zusammenhang und fordern: Die Somalis sollen gehen. Ist das überhaupt möglich?
P. Endashaw: Wenn man die somalischen Flüchtlinge fragt, werden sie sagen: Nein. Wenn man die kenianische Regierung fragt, wird die Antwort lauten: Ja. Es gab islamistische Anschläge der al-Shabab, zum Beispiel auf die Universität in Garissa, und einige Attentäter sollen im Flüchtlingslager rekrutiert worden sein. Also, einerseits will die kenianische Regierung ihre Bürger schützen. Andererseits hat Kenia die UN-Flüchtlingskonvention unterschrieben. Und die Vereinten Nationen haben klar gemacht: Es darf keine Zwangsrückführung nach Somalia geben. Das Land ist nicht stabil, die Islamisten sind sehr aktiv, und die derzeitige Regierung kann nicht einmal die Hauptstadt Mogadischu kontrollieren. Also bleiben die Flüchtlinge vorläufig dort, wo sie sind.
Frage: Die meisten Afrikaner, die zurzeit nach Europa kommen, sind aus Eritrea. Was wissen Sie über deren Beweggründe?
P. Endashaw: Wir wissen nicht viel über Eritrea. Das Land schottet sich ab. Was wir aber wissen: Seine Menschen fliehen. Und das muss Gründe haben. Besonders die jungen Leute verlassen das Land, gehen nach Dschibuti, in den Jemen. In den Flüchtlingslagern von Äthiopien leben 100.000 Eritreer. 85 Prozent davon sind unter 30. Sie sind jung, voller Energie, voller Begabungen. Aber jetzt sitzen sie irgendwo in der Wüste. Sie wollen etwas aus ihrem Leben machen. Sie wollen arbeiten, heiraten, Kinder haben. Also kommt es zu dem, was man in der Fachsprache „Secondary Movement“ nennt: Weil sie in den Flüchtlingslagern keine Zukunft sehen, setzen sie sich ein zweites Mal in Bewegung.
Frage: Und viele machen sich auf den weiten Weg nach Europa, durch die Sahara nach Libyen und übers Mittelmeer.
P. Endashaw: Einen jungen Mann aus Eritrea habe ich gefragt: „Warum willst du denn übers Meer nach Europa, das ist doch viel zu gefährlich.“ Er hat mir geantwortet: „Lieber sterbe ich auf der Flucht, als dass ich hier bei uns verrotte.“