Schätzungen zufolge gibt es noch rund 600.000 Mapuche im Süden Chiles. Hunderttausende weitere leben größtenteils kulturell entwurzelt in der Hauptstadt Santiago. Nur noch 10 bis 15 Prozent der Mapuche sprechen aktiv Mapudungun.
Sozial zählen die Mapuche in Chile zum ärmsten und am wenigsten gebildeten Teil der Bevölkerung. Im Alltag sind die Ureinwohner Diskriminierung und Vorurteilen ausgesetzt, vergleichbar mit Roma und Sinti in Europa. Die UN-Konvention 169 der Weltarbeitsorganisation ILO zum Schutz ethnischer Minderheiten ist in Chile bislang nicht voll umgesetzt. Die Pinochet-Diktatur (1973–1990) leugnete das Vorhandensein einer ethnischen Minderheit gänzlich.
Leben im Einklang mit der Natur – Kampf um Lebensraum
Die westlich orientierte hispanische und die Mapuche-Kultur stehen sich fremd gegenüber. Die Mapuche (übersetzt: „Menschen der Erde“) leben traditionell nicht hierarchisch und in Einklang mit der Natur. Dazu im Kontrast stehen industrielle Formen der Landwirtschaft und der Ausbeutung natürlicher Ressourcen, die ihren Lebensraum bedrohen. Zudem sorgen eine wachsende Umweltbelastung sowie Menschenrechtsverstöße und große Infrastrukturprojekte für Konflikte. Zuletzt hat Staatspräsidentin Michelle Bachelet ein Indigenen-Ministerium auf den Weg gebracht, um die bestehenden Nachteile und Konfliktherde zu kanalisieren.
Wiederholt gerieten die Mapuche auch international in die Schlagzeilen: mit Hungerstreiks, Straßenblockaden, einzelnen gewalttätigen Aktionen – ihren Waffen gegen die Entrechtung. Waffen, gegen die die chilenischen Behörden bislang immer noch schärfere bereithielten: die Anwendung von Gesetzen zur Terrorbekämpfung, Verhaftungen ohne Begründung, Zulassung anonymer Zeugenaussagen, Aburteilung durch Militärgerichte.
Zwischen Spiritualität und Radikalisierung
„Die Mapuche-Kultur hat zwei Herzen“, sagt der Erzbischof der Hauptstadt Santiago de Chile, Kardinal Ricardo Ezzati, „das der Spiritualität und der Harmonie mit der Natur – und das der Radikalisierung“. Es sei ein großer Irrtum, wenn der Staat immer nur auf die gewaltbereite Seite reagiere.
Die katholische Kirche fördert in diversen Schulen und Bildungseinrichtungen im Süden Chiles eine Neubesinnung auf die eigene Kultur und Identität der Mapuche, die seit einigen Jahren eingesetzt hat. Sie will neben Grund- und Berufsbildung vor allem Selbstwertgefühl und mehr Kenntnis der eigenen Sprache und Traditionen vermitteln.
Landesweit gibt es nur eine einzige Hochschule, die den Mapuche eine Möglichkeit zu höherer Bildung bietet: die „Mapuche-Uni“ in Concepcion und einer Zweigstelle in Caniete. Doch das neu gekeimte Pflänzchen einer Mapuche-Renaissance ist vielfach bedroht: nicht nur durch die hispanische Leitkultur, sondern auch durch die Mainstream-Verheißungen von Handy und Facebook. Da wäre es ein wichtiges Signal, wenn es in Araukanien künftig an Sprachen nicht nur „kine“ (eine) gibt, sondern „epu“ – zwei.
Von Alexander Brüggemann (KNA)
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