Vorbild Grenada
Und diese nahmen ihn auf: Erzbischof Rivas aus St. Lucia und die Bischöfe von St. Vincent, und Dominica werden in ihren Diözesen die Gründung von Entschuldungs-Komitees, sogenannten „Jubilee Committees“, anstoßen. Dabei können sie sich an den Erfahrungen des Inselstaates Grenada orientieren, wo es seit drei Jahren ein solches Komitee gibt, dem – sehr ungewöhnlich für eine zivilgesellschaftliche Bewegung – der Wirtschaftsminister vorsteht. Das ökumenische Komitee entstand 2013 als die Regierung Grenadas die Zahlungen an die meisten Gläubiger einstellen musste. Die Kirche war – unterstützt von dem Bündnis „erlassjahr.de“, dem katholischen Lateinamerika-Hilfswerk Adveniat und Aktiven aus den wichtigen Gläubigerländern – diejenige Kraft, die darauf drängte, dass nicht, wie unter Programmen des Internationalen Währungsfonds (IWF) üblich, die ohnehin schon engen Gürtel der Armen einfach noch enger geschnallt wurden.
Auch wenn die inzwischen von der Regierung Grenadas erreichte Teilentschuldung der internationalen Bewegung nicht weit genug geht, ging sie doch einher mit einer bemerkenswerten Zusammenarbeit zwischen der Regierung, den „Social Partners“, mit denen sie sich abstimmt und der weltweiten Erlassjahr-Bewegung. Ergebnis ist, dass die mit dem IWF vereinbarten Reformen, anders als in Griechenland und den meisten IWF-Programmländern, eher zusätzliche Einnahmen bei den Reichen mobilisieren, als Leistungen für Armen zu kürzen. Zumindest im Blick auf die ganz Armen ist das bemerkenswert gut gelungen.
Nationale Kampagnen und internationale Solidarität
Rückenwind erhielt die nun entstehende Bewegung in der Karibik nicht zuletzt dadurch, dass zwischenstaatliche Organisationen wie der Staatenbund CARICOM, die Vereinten Nationen und selbst die Weltbank inzwischen anerkennen, dass die Inseln ohne die Möglichkeit zum Schuldenerlass auf eine soziale Katastrophe und eine anhaltende Rezession zusteuern. Von allen diesen Akteuren gibt es inzwischen Vorschläge für Schuldenerleichterungen. Dabei stoßen die Vorschläge der weltweiten erlassjahr-Bewegung für ein umfassendes und rechtsstaatliches Staateninsolvenzverfahren sowie der UN-Wirtschaftskommission für Lateinamerika (CEPAL) für eine Umwandlung der multilateralen Schulden in einen Krisenfonds auf deutlich mehr Interesse als die Überlegungen der Weltbank. Diese ist selbst einer der wichtigsten Gläubiger der meisten Inseln. Ihr Vorschlag für einen „Schuldenrückkauf“ würde auf eine noch stärkere eigene Rolle in der Region hinauslaufen.
So klar die Forderung der Zivilgesellschaft nach einem rechtsstaatlichen Verfahren auch ist, so sehr sind ihre Regierungen doch gezwungen, sich taktisch zu verhalten. Das zeigt auch die erwähnte Teilentschuldung Grenadas in den letzten zwei Jahren. Die Regierung hätte sehr gerne nach den Vorstellungen des „Jubilee Committee“ in einem kohärenten und rechtsstaatlichen Verfahren mit allen Gläubigern eine umfassende Schuldenreduzierung ausgehandelt. In der Wirklichkeit jedoch redete man ganz traditionell mit jeder einzelnen Gläubigergruppe und hielt sich dabei weitgehend an die Vorgaben des IWF, über dessen eigene Forderung überhaupt nicht verhandelt werden durfte. Ergebnis war ein sich über mehr als zwei Jahre hinziehender Prozess, in dem die Regierung eine Menge Geld für US-amerikanische Rechtsberatungsfirmen aufwenden musste.
Entsprechend entschieden formulierten auch der Premierminister Dr. Keith Mitchell und der Finanz-Staatssekretär Timothy Antoine die Unterstützung Grenadas für ein reformiertes und umfassendes Verfahren, wie es die Entwicklungsländer gerade in den Vereinten Nationen voranbringen (und die Deutschen im Verein mit Briten und Amerikanern blockieren). „Keine Land sollte je wieder den schmerzhaften und langwierigen Weg gehen müssen, den wir gegangen sind und immer noch gehen“, sagte Antoine bei der Tagung.
Ökumenische Zusammenarbeit trotz Größenunterschieden
Die römisch-katholische Kirche war bei der Tagung, wie es auch der Kirchenzugehörigkeit der Gläubigen in der Karibik entspricht, mit Abstand am stärksten vertreten. Trotzdem ist die Initiative „Jubilee Caribbean“ kein katholisches, sondern ein ökumenisches Projekt. Beheimatet wird es zunächst beim Karibischen Kirchenrat (CCC) in Trinidad. Er deckt das ökumenische Spektrum ab, das auch bei der Gründungsversammlung dabei war: vom Erzbischof bis zu einer tatsächlich äußerst zackigen Kapitänin der Heilsarmee.
Die Teilnehmer/innen der Tagung verstanden, dass eine einfache Schuldenstreichung der Region allenfalls für den Moment helfen würde. So hoch die Schulden aktuell auch sind, besteht die größte Gefahr für die Volkswirtschaften in deren hoher struktureller Verwundbarkeit. Bischof Malzaire konnte als einziger aus Dominika teilnehmen, weil Angestellte wie Ehrenamtliche der Diözese Roseau auf der Insel unabkömmlich waren, nachdem im September Hurricane Erica dort an einem Nachmittag Schäden in Höhe von rund 60 Prozent des jährlichen Bruttoinlandsprodukts angerichtet hatte. Gerade das aber machte für die Teilnehmenden auch den Bezug zum biblischen Erlassjahr so überzeugend: Auch dieses zielte mit der periodischen Umverteilung allen verpfändeten Landes und dem Erlass der dabei aufgelaufenen Schulden weniger auf eine kurzzeitige Verbesserung für die verschuldeten Israeliten ab, als vielmehr auf die Verhinderung einer dauerhaften Polarisierung des Gottesvolkes in Reiche und Arme. Dass in diesem Sinne die kleinen und höchst verletzlichen Inseln nicht dauerhaft zum Armenhaus der Hemisphäre werden, ist das Ziel der Initiative.
Wie geht es weiter?
Bis Ende Januar werden in einigen der kleinen Inseln sowie in Jamaika nationale Komitees entstehen. Das erlassjahr.de-Bündnis, das Netzwerk „JubileeUSA“ und andere internationale Partner werden die entstehenden Bewegungen mit Expertise und ihren Erfahrungen im Aufbau solcher Netzwerke unterstützen. Wer in Deutschland Kontakte in der Region unterhält, ist herzlich eingeladen, die Partner durch anwaltschaftliche Arbeit im einflussreichen Gläubigerland Deutschland zu unterstützen.
Von Jürgen Kaiser, erlassjahr.de
© weltkirche.katholisch.de