Gemäß der Tradition bestimmten die Angehörigen des Getöteten ein neues Racheopfer. Der verfeindete Clan, aber auch traditionell eingestellte Verwandte Adnans erwarteten von ihm, „Blut zu geben“. Die Familie verschanzte sich, floh schließlich nach Schweden und beantragte Asyl. Die Ordensfrauen bestätigten die Bedrohungssituation, schrieben gar Königin Silvia an. Doch der Asylantrag wurde mangels glaubhafter Beweise abgelehnt. „Die Königin schrieb uns, das Schicksal gehe ihr zwar zu Herzen, aber sie habe keinerlei Einfluss“, berichtet Schwester Christina.
Zurück in Albanien, besorgten die Schwestern der nun mittellosen Familie eine kleine Wohnung. Adnans Vater berichtet, wie er nach einiger Zeit verzweifelt auf die Straße ging, sich dem feindlichen Clan als Opfer anbot: „Ich habe ihnen gezeigt: Hier bin ich, nehmt mich! Doch sie wollen junges Blut fließen sehen.“ Adnan selbst seufzt: „Es ist schrecklich, ich kann nichts dagegen tun.“
Nur „politisch Verfolgte genießen Asylrecht“
Es ist August 2015, als die Familie aufatmen kann: Die vage Aussicht auf ein Studienstipendium in einem Nicht-EU-Staat erfüllt sich. Adnan darf sein Traumstudium der Medizin beginnen, er verlässt die Familie. Bis zuletzt bangt Schwester Christina, dass jemand etwas von der Ausreise mitbekommt und Adnan erschossen wird, doch „Dank sei Gott, es hat geklappt“, freut sich die Ordensfrau. Wie in Schweden, so hätte Adnans Familie auch in Deutschland kaum Asyl erhalten - nur „politisch Verfolgte genießen Asylrecht“, wie das Grundgesetz bestimmt.
Adnan hingegen ist ein Verfolgter, dem die Politik nicht helfen kann. Potenzielle Opfer von Blutrache werden in Albanien nicht geschützt, wie Projektreferentin Monika Kleck vom katholischen Ost- und Mitteleuropa-Hilfswerk Renovabis bestätigt: „Erst nach der Tat wird der Täter vor Gericht gestellt und verurteilt - auch das nur manchmal.“ Sie stellt klar: „Es gibt auf dem Balkan existenzielle Bedrohungen und systematische Diskriminierungen, die bei genauer Betrachtung als Asylgrund ausreichen würden.“
Von Michael Merten (KNA)
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