Fünf Kinder aus der Deutschen Schule Barcelona haben bei dem tragischen Flugunglück plötzlich ihren Vater verloren. Diese schreckliche Tatsache hat die ganze Schule in einen gewissen Schockzustand versetzt. Für die meisten in der deutschen Gemeinde gehört es fast zum Alltag, regelmäßig mit dem Flugzeug zu verreisen. Nicht wenige Eltern von Schülern der DSB (Deutsche Schule Barcelona) sind beruflich gezwungen mehrmals wöchentlich zu fliegen.
Am Mittwochmorgen, am Tag nach dem Unglückstag, vor halb acht, als die ersten Schüler und Lehrer in die Schule kommen, stehe ich bereits in der großen Eingangshalle. Es gibt fast nur das eine Thema. Nach einer kurzen Besprechung mit der Schulleitung setze ich mich mit dem evangelischen Pfarrer zusammen und wir bereiten eine Andacht für die große Pause vor. Einen kleinen Raum neben der Eingangshalle, wo wir die wöchentliche Schulandacht abhalten, haben wir kurzfristig zu einem stillen „Rückzugsort“ umgestaltet. In der Mitte ein paar unaufdringliche Tücher, darauf eine schlichte, brennende Kerze und ein einfaches Kreuz. Während des ganzen Vormittags kommen immer wieder Schüler und Schülerinnen – vor allem aus den Oberstufen – und suchen das Gespräch mit uns. Ich kenne sie zum Teil aus dem Religionsunterricht oder von der Firmvorbereitung. Jeder sucht verzweifelt nach einer Antwort. Aber niemand weiß eine Antwort. Es fehlen die Worte, mit denen wir unsere Gefühle ausdrücken können. Oft bleiben nur Tränen, ein stiller Händedruck, eine Umarmung.
„Mein Gott, mein Gott, warum…“
„Jeder, der teilnehmen möchte, ist herzlich eingeladen!“, hieß es in der Email der Schulleitung an alle Lehrerinnen und Lehrer der DSB. In der großen Pause sollte in der großen Aula für die ganze Schulgemeinschaft ein kurzer Gedenkgottesdienst angeboten werden – freiwillig. Jeder will teilnehmen. Jeder, Schüler wie Lehrer, hat anscheinend das große Bedürfnis seiner Betroffenheit irgendwie Ausdruck zu geben. Über tausend Personen füllen die Aula. Die Kleinen sitzen am Boden, viele Hunderte stehen. Vorne im Zentrum, auf den Stufen der „Bühne“ wieder eine einfache, große Kerze in einem Glas. Daneben ein schlichtes Holzkreuz. Geschmückt mit ein paar Tüchern und einem kleinen Blumenstrauß. Es gibt keine „großen Reden“, keine Ansprachen. Auch hier hören wir einfach nur den Psalm 22, ohne viel Kommentar. „Mein Gott, mein Gott, warum…“. Zwei Schüler spielen auf dem Violoncello und der Violine den beeindruckenden „Cant Dels Ocells – Gesang der Vögel“, ein altes, bekanntes katalanisches Volkslied, das die Menschwerdung Gottes besingt. Nach einem kurzen Text von Dietrich Bonhoeffer singen wir gemeinsam das Taizé-Lied „Meine Hoffnung und meine Freude … Christus, meine Zuversicht, auf dich vertrau ich und fürcht mich nicht. – El Senyor es la meva força“. Die Aufmerksamkeit und Ruhe ist beeindruckend. Vor allem auch, als die Anwesenden eigeladen werden ihre Fragen, Gefühle, Bitten oder Gebete auf kleine Zettel zu schreiben und zur Kerze zu legen. In den 20 Minuten hatte ich einen der stillsten und intensivsten Gottesdienste erlebt – und das mit über tausend Kindern und Erwachsenen.