
Unbequemer Kämpfer für Gerechtigkeit
Heute vor genau 35 Jahren starb Erzbischof Oscar Romero. Er wurde am Altar von bezahlten Killern erschossen. Was hat diese abscheuliche Tat mit uns, unserem Glauben und unserer Kirche heute zu tun? Ein Gastbeitrag von Willi Knecht zum Todestag eines unbequemen Kämpfers für Gerechtigkeit.
Aktualisiert: 12.07.2015
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Heute vor genau 35 Jahren starb Erzbischof Oscar Romero. Er wurde am Altar von bezahlten Killern erschossen. Was hat diese abscheuliche Tat mit uns, unserem Glauben und unserer Kirche heute zu tun? Ein Gastbeitrag von Willi Knecht zum Todestag eines unbequemen Kämpfers für Gerechtigkeit.
Von 1976 bis 1980 habe ich in einer abgelegenen Indio-Gemeinde in den Anden Nordperus gelebt und gearbeitet – etwa im gleichen Zeitraum, in dem Oscar Romero als Erzbischof von San Salvador seine Bekehrung erlebte und in der Nachfolge Jesu sein Leben aufs Spiel setzte. Zu Beginn möchte ich an drei kleinen persönlichen Beispielen zeigen, worum es geht.
In den Elendsvierteln von Lima
In Lima wurde ich bei meiner Ankunft in Peru von sehr engagierten Ordensschwestern abgeholt, sie fuhren mit mir in die schlimmsten Elendsviertel von Lima. Hier sah ich, wie unzählige Menschen buchstäblich im Dreck lebten, in der Wüste, ohne Wasser, in Hütten aus Strohmatten, ohne jede Chance auf ein menschenwürdiges Leben. Einige Hundert Meter weiter, hinter einer großen Schutzmauer mit Stacheldraht, große Villen, üppige Gärten und herrliches Grün, das Tag und Nacht bewässert wurde. Auf der einen Seite Menschen, vor allem Kinder, die um ihr Leben gebracht werden, weil sie kein Wasser haben und keine Perspektiven – auf der anderen Seite unbeschreiblicher Luxus. Dies alles so gemacht, gerechtfertigt und mit Gewalt aufrechterhalten von Menschen, die sich Christen nennen. Ist dies nicht auch ein Symbol für unsere heutige Welt? Auf welcher Seite stehen wir, als eines der reichsten Länder und der reichsten Kirche?

Zum Schweigen gebracht
Ein Beispiel nun aus der Indio-Gemeinde: In einem fruchtbaren Tal eine sehr große Hazienda, mit so viel Land, dass der Besitzer es sich leisten konnte, einige Randgebiete brach liegen zu lassen. Auf den Bergen ringsherum leben Tausende Indios, mit einem winzigen, felsigen Stückchen Land, wo fast nichts wachsen kann. Überleben können die meisten nur als quasi Leibeigene des Großgrundbesitzers oder sie wandern ab in die Elendsviertel der Großstädte. In dieser Situation besprachen wir – wie so oft – was man tun könnte und wir hatten die Idee, auf einer kleinen Fläche von ca. zwei Hektar, die vom Großgrundbesitzer nicht genutzt wurde, Kartoffeln zu pflanzen. Es ging auch gut, doch kurz vor der Ernte wurde alles entdeckt: Eine Militäreinheit kam im Hubschrauber, beschoss ohne Vorwarnung die Menschen, mit Brandbomben wurden ihre Hütten zerstört. Zum Glück konnten sich viele Kinder gerade noch ins Freie retten. Am Ende aber waren 6 Tote und etwa 20 Schwerverletzte zu beklagen. Trotz massiven Einsatzes unseres Bischofs zugunsten der Indios konnte er nichts erreichen, das Recht stand auf der Seite des Großgrundbesitzers, im Gegenteil, der Bischof erhielt massive Drohungen und er wurde von den Mächtigen als Kommunist diffamiert, als Feind der christlich-abendländischen Zivilisation. Sie sehen, das hat schon viel mit Oscar Romero zu tun: wie und zu wem er sich bekehrte und warum und von wem er daher zum Schweigen gebracht werden musste.
Nicht kapitulieren
Noch ein drittes Beispiel: Valíco, ein junger Katechet und Gesundheitshelfer in Bambamarca, von der Gemeinde ausgebildet und vom Bischof beauftragt, hat mich oft auf den langen Wegen und Fußmärschen begleitet. Eines Tages wurde er verhaftet (wie übrigens des Öfteren andere Aktive der Gemeinde auch). Man fesselte ihn mit dem Kopf nach unten ans Kreuz, brach ihm Arme und Beine. Mehrere Male wurde er zum Schein erschossen und verhöhnt: „Wo bleibt denn nun dein guter Bischof? Er hat dich sicher schon längst vergessen.“ Nun, nach sechs Monaten wurde Valíco entlassen, schwer gezeichnet. Wir rieten ihm, sich nun erst einmal still zu verhalten. Doch entrüstet lehnte er ab. „Wie könnte ich in dieser Situation meine Brüder und Schwestern im Stich lassen? Gott hat mich berufen. Ich kann nicht anders, als meinen Weg mit meiner Gemeinschaft weiterzugehen. Es gibt keine Alternative zu dem Einsatz für eine gerechtere Welt“. Und er machte weiter und mit ihm viele andere junge Menschen.
„Gott hat mich berufen. Ich kann nicht anders, als meinen Weg mit meiner Gemeinschaft weiterzugehen. Es gibt keine Alternative zu dem Einsatz für eine gerechtere Welt.“
Genau so war und ist es mit Oscar Romero: Es wurde ihm in den letzten Monaten seines Lebens immer klarer, dass sein Weg, sein Einsatz für das geschundene und schwer misshandelte Volk, ihn in den Tod führen wird. Er war zu einer zu großen Gefahr für die Mächtigen geworden. In El Salvador selbst, aber auch in den USA und in der Kurie in Rom wurde beschlossen, ihn zum freiwilligen Verzicht zu zwingen. Doch wie konnte er ausgerechnet in dieser Zeit schwerster Prüfung sein Volk im Stich lassen und zudem seine Berufung und seinen Glauben an Jesus den Christus verleugnen? Es war letztlich sein Glaube an Jesus Christus, der ihm keine Wahl ließ.
Radikaler Kurswechsel
Oscar Romero war als Gelehrter und anfangs als Bischof eher ein Vertreter der „alten Religion“, ein Repräsentant einer eher kolonialen Kirche, die in El Salvador, in Peru oder sonst wo meist auf der Seite der Mächtigen stand. Das Volk, obwohl getauft, wusste praktisch nichts vom Evangelium und von den Worten und Taten Jesu. Die ungeheuerlichen sozialen Missstände wurden als Wille Gottes interpretiert. Der Arme war selbst schuld an seinem Elend. Das irdische Leben war bestenfalls eine Bewährungsprobe für das ewige Leben und von daher war es auch egal, wenn jemand verhungerte – Hauptsache ist ja der Himmel. Und wenn man alles geduldig und ohne Murren erträgt, desto größer die Aussicht auf baldige Erlösung. Auch Oscar Romero verstand seine priesterliche Berufung anfangs so, dass er sich allein um die Seelenrettung der Gläubigen kümmern, d. h. sie zum regelmäßigen Empfang der Sakramente und zu Gehorsam gegenüber kirchlichen und weltlichen Autoritäten anleiten müsste. Er galt als Bücherwurm, der aber vom wirklichen Leben keine Ahnung hatte. Doch wie kam es dann zu seiner Bekehrung?
Er hatte Freunde, die als Priester mitten im Volk lebten und das Elend und die Sehnsüchte des Volkes kannten und teilten. Oscar Romero war zwar mit deren Tun nicht immer einverstanden, er meinte, das wäre zu wenig religiös, aber als neu ernannter Erzbischof besuchte er diese Priester auf dem Land und kam so auch immer mehr mit der Wirklichkeit in Kontakt. Am meisten verwunderte ihn, dass die Gemeinden dieser Priester so ganz anders waren: Er sah ein äußerst lebendiges Gemeindeleben, viele engagierte und zutiefst motivierte Laien, die sogar ihre Priester liebten. Er entdeckte zum ersten Mal die Kirche als Volk Gottes. Er sah erstmals Kinder, die sterben, weil sie nicht genügend bzw. kein sauberes Wasser haben, während einige Kilometer weiter auf den Gütern der Großgrundbesitzer Luxushunde sogar in Milch gebadet wurden. Und er begann nach den Gründen zu fragen. Es beeindruckte ihn, dass von diesen Menschen kein Hass, z. B. auf ihre Unterdrücker, ausging, sondern vielmehr eine für ihn unbegreifliche Zuversicht in die Verheißungen und in die Gerechtigkeit Gottes.
Am meisten erschütterte ihn, dass einer dieser Priester, Rutilio Grande, in Erfüllung seiner priesterlichen Pflichten erschossen wurde (1977). Nun erkannte auch er als Bischof seine Berufung und wusste, was er zu tun hatte. Wie er selbst sagte, haben ihn die Armen bekehrt und ihm die Augen geöffnet für die Botschaft Jesu, so z. B. für das, was das heutige Evangelium uns sagen will. Gott selbst ist Mensch geworden und alles, was einem Menschen angetan wird, erleidet Gott mit. Diese Botschaft ist so einfach – oder doch so schwer zu verstehen?
Heute feiern wir das Gedächtnis an Oscar Romero, der das gleiche Schicksal wie Jesus erlitten hat, weil er an Jesus glaubte und ihm nachfolgte. Danken wir Gott, dass er uns solche Menschen wie Oscar Romero geschenkt hat. Denn Menschen wie er zeigen uns, was Jesus heute für uns bedeuten kann. Sie helfen uns, die Botschaft Jesu besser zu verstehen, und sie zeigen uns, dass das, was wir im Gottesdienst feiern, auch wirklich gelebt und praktiziert werden kann. In einer seiner letzten Ansprachen sagte Romero: „Ein Bischof wird sterben, aber die Kirche Gottes, das ist die Kirche des Volkes, wird nie verschwinden“.
Von Willi Knecht
Hinweis: Dieser Text ist ein aktualisierter Auszug aus einer Predigt, die Willi Knecht anlässlich des 30. Todestags von Oscar Romero in Stuttgart gehalten hat. Die vollständige Predigt können Sie hier nachlesen.