Unbequemer Kämpfer für Gerechtigkeit

Unbequemer Kämpfer für Gerechtigkeit

Heute vor genau 35 Jahren starb Erzbischof Oscar Romero. Er wurde am Altar von bezahlten Killern erschossen. Was hat diese abscheuliche Tat mit uns, unserem Glauben und unserer Kirche heute zu tun? Ein Gastbeitrag von Willi Knecht zum Todestag eines unbequemen Kämpfers für Gerechtigkeit.

Erstellt: 24.03.2015
Aktualisiert: 12.07.2015
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Heute vor genau 35 Jahren starb Erzbischof Oscar Romero. Er wurde am Altar von bezahlten Killern erschossen. Was hat diese abscheuliche Tat mit uns, unserem Glauben und unserer Kirche heute zu tun? Ein Gastbeitrag von Willi Knecht zum Todestag eines unbequemen Kämpfers für Gerechtigkeit.

Von 1976 bis 1980 habe ich in einer abgelegenen Indio-Gemeinde in den Anden Nordperus gelebt und gearbeitet – etwa im gleichen Zeitraum, in dem Oscar Romero als Erzbischof von San Salvador seine Bekehrung erlebte und in der Nachfolge Jesu sein Leben aufs Spiel setzte. Zu Beginn möchte ich an drei kleinen persönlichen Beispielen zeigen, worum es geht.

In den Elendsvierteln von Lima

In Lima wurde ich bei meiner Ankunft in Peru von sehr engagierten Ordensschwestern abgeholt, sie fuhren mit mir in die schlimmsten Elendsviertel von Lima. Hier sah ich, wie unzählige Menschen buchstäblich im Dreck lebten, in der Wüste, ohne Wasser, in Hütten aus Strohmatten, ohne jede Chance auf ein menschenwürdiges Leben. Einige Hundert Meter weiter, hinter einer großen Schutzmauer mit Stacheldraht, große Villen, üppige Gärten und herrliches Grün, das Tag und Nacht bewässert wurde. Auf der einen Seite Menschen, vor allem Kinder, die um ihr Leben gebracht werden, weil sie kein Wasser haben und keine Perspektiven – auf der anderen Seite unbeschreiblicher Luxus. Dies alles so gemacht, gerechtfertigt und mit Gewalt aufrechterhalten von Menschen, die sich Christen nennen. Ist dies nicht auch ein Symbol für unsere heutige Welt? Auf welcher Seite stehen wir, als eines der reichsten Länder und der reichsten Kirche?

Bild: © Privat

Zum Schweigen gebracht

Ein Beispiel nun aus der Indio-Gemeinde: In einem fruchtbaren Tal eine sehr große Hazienda, mit so viel Land, dass der Besitzer es sich leisten konnte, einige Randgebiete brach liegen zu lassen. Auf den Bergen ringsherum leben Tausende Indios, mit einem winzigen, felsigen Stückchen Land, wo fast nichts wachsen kann. Überleben können die meisten nur als quasi Leibeigene des Großgrundbesitzers oder sie wandern ab in die Elendsviertel der Großstädte. In dieser Situation besprachen wir – wie so oft – was man tun könnte und wir hatten die Idee, auf einer kleinen Fläche von ca. zwei Hektar, die vom Großgrundbesitzer nicht genutzt wurde, Kartoffeln zu pflanzen. Es ging auch gut, doch kurz vor der Ernte wurde alles entdeckt: Eine Militäreinheit kam im Hubschrauber, beschoss ohne Vorwarnung die Menschen, mit Brandbomben wurden ihre Hütten zerstört. Zum Glück konnten sich viele Kinder gerade noch ins Freie retten. Am Ende aber waren 6 Tote und etwa 20 Schwerverletzte zu beklagen. Trotz massiven Einsatzes unseres Bischofs zugunsten der Indios konnte er nichts erreichen, das Recht stand auf der Seite des Großgrundbesitzers, im Gegenteil, der Bischof erhielt massive Drohungen und er wurde von den Mächtigen als Kommunist diffamiert, als Feind der christlich-abendländischen Zivilisation. Sie sehen, das hat schon viel mit Oscar Romero zu tun: wie und zu wem er sich bekehrte und warum und von wem er daher zum Schweigen gebracht werden musste.

Nicht kapitulieren

Noch ein drittes Beispiel: Valíco, ein junger Katechet und Gesundheitshelfer in Bambamarca, von der Gemeinde ausgebildet und vom Bischof beauftragt, hat mich oft auf den langen Wegen und Fußmärschen begleitet. Eines Tages wurde er verhaftet (wie übrigens des Öfteren andere Aktive der Gemeinde auch). Man fesselte ihn mit dem Kopf nach unten ans Kreuz, brach ihm Arme und Beine. Mehrere Male wurde er zum Schein erschossen und verhöhnt: „Wo bleibt denn nun dein guter Bischof? Er hat dich sicher schon längst vergessen.“ Nun, nach sechs Monaten wurde Valíco entlassen, schwer gezeichnet. Wir rieten ihm, sich nun erst einmal still zu verhalten. Doch entrüstet lehnte er ab. „Wie könnte ich in dieser Situation meine Brüder und Schwestern im Stich lassen? Gott hat mich berufen. Ich kann nicht anders, als meinen Weg mit meiner Gemeinschaft weiterzugehen. Es gibt keine Alternative zu dem Einsatz für eine gerechtere Welt“. Und er machte weiter und mit ihm viele andere junge Menschen.

„Gott hat mich berufen. Ich kann nicht anders, als meinen Weg mit meiner Gemeinschaft weiterzugehen. Es gibt keine Alternative zu dem Einsatz für eine gerechtere Welt.“

—  Zitat: Valíco, Katechet und Gesundheitshelfer in Bambamarca (Peru)

Genau so war und ist es mit Oscar Romero: Es wurde ihm in den letzten Monaten seines Lebens immer klarer, dass sein Weg, sein Einsatz für das geschundene und schwer misshandelte Volk, ihn in den Tod führen wird. Er war zu einer zu großen Gefahr für die Mächtigen geworden. In El Salvador selbst, aber auch in den USA und in der Kurie in Rom wurde beschlossen, ihn zum freiwilligen Verzicht zu zwingen. Doch wie konnte er ausgerechnet in dieser Zeit schwerster Prüfung sein Volk im Stich lassen und zudem seine Berufung und seinen Glauben an Jesus den Christus verleugnen? Es war letztlich sein Glaube an Jesus Christus, der ihm keine Wahl ließ.

Radikaler Kurswechsel

Oscar Romero war als Gelehrter und anfangs als Bischof eher ein Vertreter der „alten Religion“, ein Repräsentant einer eher kolonialen Kirche, die in El Salvador, in Peru oder sonst wo meist auf der Seite der Mächtigen stand. Das Volk, obwohl getauft, wusste praktisch nichts vom Evangelium und von den Worten und Taten Jesu. Die ungeheuerlichen sozialen Missstände wurden als Wille Gottes interpretiert. Der Arme war selbst schuld an seinem Elend. Das irdische Leben war bestenfalls eine Bewährungsprobe für das ewige Leben und von daher war es auch egal, wenn jemand verhungerte – Hauptsache ist ja der Himmel. Und wenn man alles geduldig und ohne Murren erträgt, desto größer die Aussicht auf baldige Erlösung. Auch Oscar Romero verstand seine priesterliche Berufung anfangs so, dass er sich allein um die Seelenrettung der Gläubigen kümmern, d. h. sie zum regelmäßigen Empfang der Sakramente und zu Gehorsam gegenüber kirchlichen und weltlichen Autoritäten anleiten müsste. Er galt als Bücherwurm, der aber vom wirklichen Leben keine Ahnung hatte. Doch wie kam es dann zu seiner Bekehrung?

Er hatte Freunde, die als Priester mitten im Volk lebten und das Elend und die Sehnsüchte des Volkes kannten und teilten. Oscar Romero war zwar mit deren Tun nicht immer einverstanden, er meinte, das wäre zu wenig religiös, aber als neu ernannter Erzbischof besuchte er diese Priester auf dem Land und kam so auch immer mehr mit der Wirklichkeit in Kontakt. Am meisten verwunderte ihn, dass die Gemeinden dieser Priester so ganz anders waren: Er sah ein äußerst lebendiges Gemeindeleben, viele engagierte und zutiefst motivierte Laien, die sogar ihre Priester liebten. Er entdeckte zum ersten Mal die Kirche als Volk Gottes. Er sah erstmals Kinder, die sterben, weil sie nicht genügend bzw. kein sauberes Wasser haben, während einige Kilometer weiter auf den Gütern der Großgrundbesitzer Luxushunde sogar in Milch gebadet wurden. Und er begann nach den Gründen zu fragen. Es beeindruckte ihn, dass von diesen Menschen kein Hass, z. B. auf ihre Unterdrücker, ausging, sondern vielmehr eine für ihn unbegreifliche Zuversicht in die Verheißungen und in die Gerechtigkeit Gottes.

Bild: © Knecht

Am meisten erschütterte ihn, dass einer dieser Priester, Rutilio Grande, in Erfüllung seiner priesterlichen Pflichten erschossen wurde (1977). Nun erkannte auch er als Bischof seine Berufung und wusste, was er zu tun hatte. Wie er selbst sagte, haben ihn die Armen bekehrt und ihm die Augen geöffnet für die Botschaft Jesu, so z. B. für das, was das heutige Evangelium uns sagen will. Gott selbst ist Mensch geworden und alles, was einem Menschen angetan wird, erleidet Gott mit. Diese Botschaft ist so einfach – oder doch so schwer zu verstehen?

Heute feiern wir das Gedächtnis an Oscar Romero, der das gleiche Schicksal wie Jesus erlitten hat, weil er an Jesus glaubte und ihm nachfolgte. Danken wir Gott, dass er uns solche Menschen wie Oscar Romero geschenkt hat. Denn Menschen wie er zeigen uns, was Jesus heute für uns bedeuten kann. Sie helfen uns, die Botschaft Jesu besser zu verstehen, und sie zeigen uns, dass das, was wir im Gottesdienst feiern, auch wirklich gelebt und praktiziert werden kann. In einer seiner letzten Ansprachen sagte Romero: „Ein Bischof wird sterben, aber die Kirche Gottes, das ist die Kirche des Volkes, wird nie verschwinden“.

Von Willi Knecht

Hinweis: Dieser Text ist ein aktualisierter Auszug aus einer Predigt, die Willi Knecht anlässlich des 30. Todestags von Oscar Romero in Stuttgart gehalten hat. Die vollständige Predigt können Sie hier nachlesen.

Zum Autor

Dr. Willi Knecht studierte Pädagogik und Theologie an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Georgen in Frankfurt a. M. Von 1976-80 war er als Pastoralreferent in Peru und danach als Religionslehrer und in der Erwachsenenbildung der Diözese Rottenburg-Stuttgart tätig. 2004 promovierte er an der Universität Würzburg über das Thema Kirche und Globalisierung. Seit 2010 in Pension, engagiert er sich verstärkt in diversen bundesweiten Initiativen, darunter die „Konziliare Versammlung“ 2012 und die Ökumenische Versammlung 2014.

Auf den Spuren von Oscar Romero

Auf der Webseite des Lateinamerika-Hilfswerks Adveniat finden Sie ein umfangreiches Dossier zum Leben und Wirken des ermordeten salvadorianischen Erzbischofs:

Chronologie

Die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) zeigt in einer Chronologie die Verflechtung von Romeros Leben mit dem Bürgerkrieg in El Salvador (1980–1991) sowie die Auseinandersetzung in den folgenden Jahrzehnten auf: 1972: Carlos Humberto Romero Mena wird Verteidigungsminister in El Salvador. Er verschärft die Unterdrückung von Studenten und Oppositionellen und setzt sie nach seiner Wahl zum Präsidenten (1977) fort. 1977: Oscar Arnulfo Romero wird Erzbischof von San Salvador. Er gilt als konservativ und unpolitisch. Im selben Jahr wird der Befreiungstheologe und Jesuit Rutilio Grande von Militärs ermordet. Der Erzbischof fordert die Aufklärung der Bluttat und geht auf Distanz zur Regierung. 1979: Nach dem Sturz des Diktators Somoza im Nachbarland Nicaragua durch eine linke Volksfront putschen in El Salvador Militärs und Politiker gegen Präsident Romero und bilden eine „revolutionäre Regierungsjunta“, um einer kommunistischen Revolution zuvorzukommen. Die Junta laviert zwischen fortschrittlichen Projekten (Landreform) und einer Politik der harten Hand gegen die Opposition. Rechts überholt wird sie vom früheren Regierungsmitglied Major Roberto D''Aubuisson Arrieta, der mithilfe von Militärs und Todesschwadronen Persönlichkeiten der Linken ermorden lässt. 1980: Am 24. März wird Erzbischof Romero während der Heiligen Messe von einem Scharfschützen ermordet. Zeugen beschuldigen später d''Aubuisson, er sei der Auftraggeber gewesen. Der Ex-Major bleibt bis zu seinem Lebensende straflos. Nach der Ermordung des Erzbischofs verdichtet sich die politische Gewalt in El Salvador zu einem Bürgerkrieg zwischen der nach rechts gerückten Regierung und der linken Guerilla-Einheitsfront „FMLN“. Der Bürgerkrieg dauert elf Jahre; rund 70.000 Menschen werden Opfer politisch motivierter Gewalt. 1989: Sechs Jesuitenpatres und zwei Angestellte der katholischen Universität von San Salvador werden von einer militärisch ausgerüsteten Truppe erschossen. Das Ereignis löst international Empörung aus und verstärkt den Druck aus den USA auf die Regierung, mit der FMLN-Guerilla zu einem Friedensabkommen zu gelangen. Weltweit endet durch den Zerfall des kommunistischen Blocks der Kalte Krieg zwischen der Sowjetunion und den USA. 1990: Im Erzbistum San Salvador wird von Weihbischof Gregorio Rosa Chavez das Seligsprechungsverfahren für Erzbischof Romero eröffnet. 1992: Guerilla und Regierung in El Salvador schließen ein Friedensabkommen; die FMLN wird politische Partei. 1997: Der Seligsprechungsprozess für Romero wird in Rom eingereicht. Die Prüfung seiner Lehren und der politischen Umstände seines Todes zieht sich in die Länge. Gegner einer Seligsprechung geben zu bedenken, die Ermordung sei politisch motiviert gewesen; daher fehle das Kriterium für einen Märtyrertod. 2007: Papst Benedikt XVI. erklärt, er habe „keine Zweifel“, dass Romero die Seligsprechung verdiene. 2014: Papst Franziskus sagt, es gebe „keine Hindernisse mehr“ auf dem Weg zur Seligsprechung. 2015: Der Papst teilt das Urteil der vatikanischen Heiligsprechungskongregation, dass Romeros Tod die formalen und sachlichen Voraussetzungen für ein Martyrium erfülle. Quelle: KNA